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Das verhängnisvolle Experiment

Das verhängnisvolle Experiment

Titel: Das verhängnisvolle Experiment
Autoren: Klaus Frühauf
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der Zweite zu sein, dann sagst du dir nicht, du stehst ja fast an der Spitze, nein, dann verfluchst du den Schatten des Ersten, den du wie einen Alpdruck auf dir lasten fühlst.
    Da bewirbst du dich also um einen Platz in der kleinen und exklusiven Gruppe der Astronauten, bewirbst dich, weil du das Fliegen als eine wundervolle Sache empfindest und weil du endlich etwas Besseres sein willst, einer von denen, über die man spricht, die von den Medien beachtet und von den Nachbarn bewundert werden. Und während du glaubst, jetzt endlich beginne das, was du unter dem Begriff »Leben« verstehst, jagen sie dich durch alle Höllen dieser Welt, wirbeln dich auf Karussells herum, schießen dich gegen Prallwände, feuern dich in Hubsesseln bis knapp unter das Hallendach hinauf und hetzen dich über Fitneßbahnen. Du absolvierst Dutzende von Starts und Landungen mit den verschiedensten Fähren, belastest dich bis an die Grenzen deiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit, und wenn du dann abends vor der Televisionswand sitzt, dann bringen sie eine Zehnsekundennachricht ohne Namen und Daten, und du siehst das süffisante Lächeln auf den Gesichtern derer, denen du beweisen wolltest, wozu du fähig bist.
    Oder sie stecken dich für sechs Monate in eine Dunkelkammer, allein, ohne die geringste Chance auf einen Zeitvertreib, und du grübelst und grübelst, erlebst das, worauf du hoffst, in Gedanken hundertmal, du entdeckst fremde Welten, schlägst dich mit unmenschlichen Monstern herum, rettest in Not geratene Astronauten, du blähst dich auf zum Pseudohelden, während der Zeitgenerator deine Stunden, Tage, Wochen und Monate in gleichgroße Stücke zerhackt. Und wenn sie dir dann gestatten, die Kammer zu verlassen, dann bist du fast blind angesichts der Fülle des Lichtes draußen und entsetzt über die Größe der Welt, die du fast vergessen hattest. Und dein Mädchen lacht dich aus, weil du einiges von dem, was sie als wichtig empfindet, in der Einsamkeit verlernt hast.
    Und dann erfährst du, daß du gut genug warst, einen Platz in der Reservemannschaft zu bekommen.
     
    Dein großer Tag findet also auf der Erde statt. Da sitzt du im Konturensessel der Dublette und vollziehst jede Handbewegung, jede Geste und jeden Griff dessen nach, der das Glück hat, der Erste zu sein. Wenn er sich an die Nase faßt, dann hast du das zu wiederholen, wenn er duscht, dann hockst du in einer kubikmetergroßen Plastiktüte und läßt dir Wasser über die Schultern plätschern, wenn er… Es ist deprimierend. Und über die da oben schreiben die Reporter spaltenlange Berichte, bringt die Television halbstündige Sendungen, über euch hier unten verlieren sie kein Wort.
    Da kann es nicht ausbleiben, daß du anfängst zu hoffen, irgend etwas möge schiefgehen, ein Computer ausfallen, eine Kühlleitung platzen, ein Akkumulator auslaufen oder eine Steuerdüse nicht zünden. Und schließlich wünschst du dir, es möge zu einer Fehlreaktion kommen, zu einer Unaufmerksamkeit, zu einem billigen, alltäglichen Versehen. Der da oben hat das gleiche hinter sich wie du, und er ist in diesem Augenblick mindestens ebenso belastet wie du, es wäre kein Wunder, wenn er ein Warnzeichen übersähe, wenn ihm eine falsche Reaktion unterliefe. Und das wäre sein sicheres Ende, das Ende des Ersten.
    Aber wenn du glaubst, du rückst dann an seine Stelle, dann hast du dich abermals getäuscht. Es gibt immer einen neuen Ersten, und du wirst immer der alte Zweite bleiben; denn du bist von Natur aus der Zweite, festgelegt, aktenkundig, unabänderlich.
    Natürlich suchst du nach den Gründen. Aber niemand ist bereit, sie dir zu nennen. Und allein wirst du sie niemals finden. Nicht in den undurchdringlichen Mienen der Einsatzleitung und nicht im verlorenen Lächeln deines Mädchens.
    Du fängst an, deine Umgebung mit anderen Augen zu betrachten, aufmerksamer, du achtest auf jede Geste und auf jedes Wort, und hinter allem vermutest du versteckte Ablehnung, Hohn, Mißachtung. So wirst du schließlich zum Sonderling, der Abstand zwischen dir und den anderen vergrößert sich unmerklich, und deine Umgebung verwandelt sich in ein Vakuum, in dem dir das Atmen zur Qual wird. Die dich mögen, die stößt du vor den Kopf, und die dich nicht mögen, die zerreißen sich die Mäuler über dich oder lachen dich aus. Überall witterst du Feindschaft und Verachtung, und wenn du endlich begreifst, daß die anderen lediglich der Spiegel sind, der deine Gefühle reflektiert, dann ist
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