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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Webb
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Seine Kehle war so trocken, dass sie schmerzte, und er schluckte, als er das Blatt wieder zusammenfaltete und zurück in den Umschlag steckte. Lange saß er da, den Kopf in den Händen, und das Herz tat ihm weh vor Mitgefühl mit einem Mädchen, das er nie kennengelernt hatte. Versuche zu vergessen, was Du getan hast. Dieser Satz wiederholte sich in seinem Kopf, und er dachte daran, was Wilf Coulson ihm ein paar Stunden zuvor erzählt hatte. Auf einmal überkam ihn das pure Grauen, als könnte die Wahrheit jeden Moment ungebeten aus ihm herausplatzen. Er dachte an Dimity, an ihr ängstliches Gesicht und die Tränen in ihren Augen. Er dachte daran, wie sie zur Decke aufgeblickt hatte, als sie über sich Geräusche gehört hatten. Voll verzweifelter Hoffnung, erkannte er nun. Er schluckte erneut und schwor sich, niemals irgendjemandem von seinem Verdacht über Élodies Tod zu erzählen. Vielleicht nicht einmal Hannah, und ganz gewiss würde er nicht in seinem Buch darüber schreiben. Der Gedanke erwischte ihn eiskalt. Gab es denn noch ein Buch? Er konnte es jedenfalls nicht zu Dimitys Lebzeiten veröffentlichen, so viel war klar. Er überlegte, was er als Nächstes tun sollte, was wirklich zählte, und auf einmal war es geradezu genial ein fach, absolut offensichtlich. Die Zukunft war keine granitene Mauer, sondern ein leeres Blatt.
    Zach lief zum Strand hinunter und entdeckte sie sofort. Ihre helle Haut schimmerte vor dem dunkelblauen Wasser. Sie trug ihren roten Bikini, und der Wind spielte mit ihren Locken. Sie stand am Ende des Felsendamms, die Arme locker an den Seiten, und das Wasser reichte ihr bis zu den Knien, als hielte allein das Meer sie dort fest – das Einzige, was ihr Einhalt gebieten konnte. Zach schlüpfte aus seinen Schuhen, krempelte die Jeans bis zu den Knien hoch und machte sich mit ungeduldigen, platschenden Schritten auf den Weg zu ihr. Sie hörte ihn kommen, drehte sich um und verschränkte die Arme vor dem Brustkorb. Immer noch auf Verteidigung ausgerichtet, immer noch unsicher, ob sie ihm vertrauen konnte. In diesem Augenblick wurde Zach klar, dass er sie liebte. Es war so klar wie der Himmel über ihnen.
    »Arme Delphine«, sagte er, nachdem sie einen langen Blick gewechselt hatten. Hannah nickte. »Ich habe vor ihrem Porträt gestanden und mir zahllose Variationen ihrer Zukunft, ihres Lebens ausgemalt. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass sie solchen Kummer ertragen musste.«
    »Ja.«
    »Glaubst du immer noch, es war besser, dass sie nichts von ihrem Vater wusste? Dass er noch lebte, meine ich?«
    »Keine Ahnung. Wer kann das schon wissen? Aber vielleicht hat ihr das geholfen zu vergessen. Weiterzuleben. Vielleicht war ein toter Vater, den sie in liebevoller Erinnerung behalten konnte, besser, als ein Leben mit einem so gebrochenen Vater.«
    »Aber sie hat nie vergessen. Wie hätte sie all das vergessen können? Und sie hat diesen Brief ihr ganzes Leben lang aufbewahrt.«
    »Ja, und ich habe gesehen, dass sie ihn hin und wieder gelesen hat. Als ich noch klein war. Wenn wir anderen den ganzen Tag draußen auf dem Hof waren und sie allein im Haus war, bin ich manchmal hereingekommen und habe sie damit gesehen. Sie saß ganz allein da und hat ihn gelesen. Dann hat sie immer versucht, mich nicht sehen zu lassen, dass sie geweint hatte.« Hannah wischte sich die Augen und schüttelte den Kopf. »Verstehst du es jetzt? Verstehst du, dass es dabei nicht nur um Bilder eines berühmten Künstlers geht? Sondern um das Leben dieser Menschen. Um das, was sie durchmachen mussten.«
    »Ja, das verstehe ich. Aber ich möchte dir sagen … Falls du irgendwann einmal, vielleicht, wenn Dimity – nicht mehr ist … Also, falls du dich je dazu entschließen solltest, die Bilder auszustellen, möchte ich derjenige sein, der dir dabei hilft. Wir könnten sie sogar hier ausstellen – eine deiner Scheunen zu einer Galerie umbauen. Und ich möchte diese Geschichte wirklich gern niederschreiben. Ich glaube, das werde ich auch tun, weil sie zu groß ist, um sie in mir verschlossen zu halten. Aber ich werde nichts damit an fangen, ehe ich deine Erlaubnis dazu habe. Das verspreche ich dir.«
    »Würden all die neuen Werke nicht sowieso an Wert verlieren, wenn sie jetzt bekannt werden? Ich dachte, je we niger Bilder es von einem Künstler gibt, desto höher die Preise?«
    »Theoretisch ja. Aber in einem solchen Fall? Undenkbar.« Zach schüttelte den Kopf. »Die Entstehung, die Geschichte dahinter … So
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