Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin
Autoren: Erich Wulff
Vom Netzwerk:
Selbstzweck. Sie sollten dem Kauf einer gemeinsamen Wohnung für sich und seine Verlobte dienen, denn der Staat stellte jungen Paaren nun keinen billigen Wohnraum mehr zur Verfügung. Noch während seiner Banktätigkeit hatte er nämlich ein Mädchen kennen gelernt, das er heiraten wollte, eine »ernste Beziehung«, wie er sagte. Puchlins weinte, als er von seiner Freundin erzählte: Sie sei, nachdem seine Tat mit voller Namensnennung in den Zeitungen seines Heimatlandes breitgetreten worden sei, ständigen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Dabei habe er sie ja nur beschützen wollen. Mit einem gewissen Stolz zeigte er uns, dem Dolmetscher und mir, ihr Bild: ein schlankes, junges Mädchen mit ausdrucksvollen grünen Augen und welligem, aschblondem Haar. Ich konnte gut verstehen, dass er sie zu seinem ganzen Lebensinhalt gemacht hatte. Wichtig für ihn war, dass sie noch unberührt gewesen war, als er zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte. Eben ein ernsthaftes Mädchen. Auf meine Frage, ob er selbst schon vorher mit einer anderen Frau sexuellen Umgang gehabt habe, wollte er zunächst nicht antworten. Schließlich bejahte er das verschämt, sagte aber, es sei nichts Ernstes gewesen. Er sei damals sehr enttäuscht worden, wolle darüber aber nicht sprechen. Bei seiner jetzigen Freundin brauche er so etwas nicht zu befürchten.
    Ich wurde das Gefühl nicht los, dass hier noch etwas für Puchlins Problematisches verborgen lag, an das ich aber nicht herankam. Obwohl er keiner Religion anhing, war Sexualität für ihn offenbar etwas Heiliges, das man nur unter gewissen Voraussetzungen leben durfte: einer großen, ernsthaften und lebenseinmaligen Liebe. Alles andere war hässlich, eine Art Entweihung und Lästerung, und durfte noch nicht einmal in Worte gefasst werden. Etwa zwei Jahre vor der Tat hatte Puchlins sein späteres Opfer, Tumakow, kennen gelernt. Dessen Frau war eine Freundin von Puchlins’ Verlobter. Tumakow war ein ehemaliger Berufsboxer, er hatte in seiner Gewichtsklasse den vierten Platz in der sowjetischen Landesmeisterschaft errungen. Mit der Auflösung der Sowjetunion musste auch er sich neu orientieren, war es doch mit den Privilegien zu Ende, die Spitzensportler dort bis dahin genossen hatten. Die meisten der ehemaligen Boxer hätten in zweifelhaften, oft mafiosen »Sicherheitsdiensten« Jobs gefunden, so auch Tumakow, berichtete Puchlins mir. Puchlins mochte Tumakow von vornherein nicht. Er sei ein grober, oft brutaler Mensch gewesen, der mit seinen Verbindungen zur Mafia, aber auch mit seinen weiblichen Eroberungen prahlte. Von den Frauen, die er kannte, hätte er nur schlecht geredet, sogar seine eigene Frau eine Nutte genannt. Sein Motto sei gewesen: Wer vor mir Angst hat, der respektiert mich auch.
    Tumakow hatte ihn gedrängt, ihn und E., den Bruder von Puchlins’ Verlobten, auf ihrer nächsten »Geschäftsreise« nach Deutschland zu begleiten. Puchlins wollte dies zunächst partout nicht, denn seine Freundin hatte ihn vor Tumakow gewarnt: Er hätte versucht, wenn auch vergeblich, mit ihr zu schlafen. Da Tumakow ihm aber durch Vermittlung von Auto Verkäufen zum Startkapital für diese Reise verholfen hatte, war nichts anderes übrig geblieben, als ihn mitzunehmen, obwohl Puchlins noch eine heftige Wut gegen ihn im Bauch hatte.
    Zu einem offenen Konflikt mit Tumakow kam es aber erst, nachdem Tumakow Puchlins ein Paket mit Medikamenten übergeben hatte, das ein auf Besuch in Deutschland befindlicher Freund Puchlins bei seiner Rückkehr ins Heimatland für Tumakows Angehörige dorthin mitnehmen sollte. Tumakow behauptete zunächst, dieses Paket sei dort überhaupt nicht angeliefert worden, und machte Puchlins dafür verantwortlich. Später sagte er, ein Teil der Medikamente sei verschwunden, bedrohte seinen Landsmann laut schreiend und verlangte von ihm eine große Summe Geldes für den Verlust. Bei seinen Wutausbrüchen hätte Tumakow auch auf Puchlins’ Verlobte geschimpft, sie eine Hure genannt und damit geprahlt, vor ihm schon mit ihr »gebumst« zu haben. Schließlich hätte er Puchlins auch geschlagen und erniedrigt: Einmal habe er ihm den Inhalt eines Joghurtbechers in die Haare geschmiert. Meist sei er bei solchen Attacken betrunken gewesen.
    Wenn ich mir die Heftigkeit dieser Auseinandersetzungen vergegenwärtige, stellen sich bei mir allerdings nachträglich einige Zweifel an Puchlins’ Schilderung ein: Ob es sich bei dem Paketinhalt tatsächlich nur um Medikamente für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher