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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau
Autoren: Annette Hohberg
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ihrer besten Seite zeigt.«
    »Was wäre ich nur ohne dich?«
    »Na, ich vermute mal, du wärst verloren.« Jetzt lacht Silvio aus vollem Hals. Und Martha ist erleichtert, als Michele in dieses Lachen mit einstimmt.
    Dann nimmt Silvio die Glückwünsche der anderen entgegen. Lina ist die Letzte, die gratuliert. Sie ist etwas kleiner als er trotz ihrer hohen Absätze. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben. Sie lässt sofort wieder von ihm ab. Seine Augen halten sie einen Moment fest, es liegt eine Mischung aus Erstaunen und Anerkennung darin, und ehe sie sich versieht, gibt er ihr einen Kuss zurück, einen ebenso kurzen.
    Hans tauscht mit Martha ein Augenzwinkern, während Michele sich zu seiner Schwester setzt, die Robert gerade die Gitarre reicht. Da ist nun nichts mehr, was das Beisammensein dieser acht Menschen stört. Kein falscher Ton. Wie ein Orchester, das seine Instrumente gestimmt hat und für den Moment zueinandergefunden hat. Endlich, denkt Martha und blendet Dissonanzen, die sich hinter der Partitur dieser Nacht verbergen, einfach aus. Sie entlässt ihre Zweifel wie langjährige Weggefährten, von denen man sich nicht mehr überstimmen lassen will.
    Robert singt
You’re A Big Girl Now
und
You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go
und dann natürlich
Shelter From The Storm.
    Niemand denkt daran, schlafen zu gehen. Sie reden und singen und lachen, und irgendwann legt Silvio ein Haschisch-Piece auf den Tisch. Er zündet das Ende an und krümelt eine Portion davon in den Tabak, den er feinsäuberlich auf drei zusammengeklebte Zigarettenpapierchen gelegt hat, die er dann zusammenrollt.
    Alle ziehen nacheinander daran, als täten sie das hier heute nicht zum ersten Mal. Nur Lina hustet, und Silvio klopft ihr aufmunternd auf den Rücken. »Du musst tief inhalieren, Mädchen«, sagt er. »Je länger du den Rauch auf deine Lungen legst, umso besser wirkt es.«
    Sie probiert es, nachdem ihr Blick sich bei Hans Hilfe geholt hat. Der nickt nur und verzieht die Mundwinkel. Ein Vater, der seiner Tochter allein mit seinem Mienenspiel die Erlaubnis zum Grenzübertritt gibt.
    So einfach kann das sein, denkt Martha. Und dann denkt sie an ihren letzten Joint. Über zwanzig Jahre ist das jetzt her, Lina war gerade ein paar Monate alt. Hans und Martha fuhren mit der Kleinen ans Meer. Sie kicherten viel an diesem windigen Nachmittag im Herbst. Sie saßen in einem von der Kurverwaltung vergessenen Strandkorb, das schlafende Kind zwischen sich, und sie fanden alles komisch: die Sonntagsspaziergänger am Strand, die Hunde, die herumjagten und versuchten, Haken zu schlagen, ein Surfer in einer knallroten Neoprenhaut, dessen flatterndes Segel vor dem aufkommenden Sturm kapitulierte. Sie lachten auch über die vermeintliche Schwere des Lebens, die ihnen in dem Augenblick vorkam wie ein schlechter Witz. Bis genau diese Schwere sich ihnen irgendwann auf die Brust setzte und sich ihr Lachen mitsamt der Leichtigkeit davonstahl.
    Es ist gegen halb drei, als Hans einen letzten tiefen Zug nimmt, zu Lina sieht und dort Marthas Blick trifft. In diesem Moment finden sie ihr Lachen wieder. Als ob sie ein vertrautes Bild hervorholten, das sie jahrelang auf dem Dachboden haben verstauben lassen, weil sie damit nichts mehr anzufangen wussten.
    Michele rückt etwas näher zu Martha.
    Um halb vier Uhr liegt Silvios Hand in Linas Nacken. Nero liegt auf ihren Füßen.
    Wie im Zeitraffer vergeht der Rest der Nacht.
    Gegen fünf Uhr steht Catherine auf, streckt sich und sagt, sie müsse sich nun hinlegen. Robert tut es ihr gleich.
    Plötzlich herrscht müde Aufbruchstimmung. Nach und nach verlässt einer nach dem anderen die Küche. Man wünscht sich eine gute Nacht und schöne Träume und verabredet sich gegen Mittag zum Frühstück. Halb ausgetrunkene Gläser und Flaschen bleiben auf dem Tisch zurück.
    Hans legt Martha kurz die Hand auf die Schulter, bevor er geht. Alles okay?, scheint seine Hand zu fragen.
    Sie nickt und macht keine Anstalten aufzustehen. Erst als alle draußen sind, beugt sie sich zu Michele und küsst ihn. Es wird ein langer Kuss, als hätten sie nur darauf gewartet, dass sie endlich allein sind.
    Irgendwann sind sie beide außer Atem. Und während Martha Luft holt, nimmt sie Anlauf für ihre Frage: »Fahren wir an den Strand?«
    Er sieht sie erstaunt an. »Willst du denn nicht schlafen?«
    »Noch nicht. Ich will den Sonnenaufgang mit dir ansehen.«
    Beim Hinausgehen greift sie nach einer kleinen
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