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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau
Autoren: Annette Hohberg
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herausholen und in die Welt schauen lassen.
    »Und hast du’s getan?«, fragte er.
    »Na ja, ich war ziemlich nachlässig. Erst mit dir hat auch das letzte Püppchen was zu sehen bekommen. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich es darüber ist.«
    An diesem Tag schalteten sie ihre Handys ab. Sie wollten für niemanden mehr erreichbar sein. Es war Donnerstag, am Samstag hatte Silvio sie nach Verucchio eingeladen.
    Am Samstagnachmittag sagte Martha, sie werde nun Hans und Lina abholen. Michele solle mit seinem Auto schon mal vorfahren.
    Sie versprachen sich, richtig zu feiern. »Als gäbe es kein Morgen mehr«, fügte Martha hinzu.
    Sie zog sich den Mantel an und nahm ihre Handtasche.
    »Ist das dein ganzes Gepäck?«, fragte Michele.
    »Nachthemd und Zahnbürste sind da drin«, log sie.
    Sie gab ihm einen Kuss, dann ging sie zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um, und ihr Blick ging zu dem kleinen blauen Ballon, der nun zwei Passagiere an Bord hatte.
     
    Hans’ Hände klopfen auf dem Lenkrad den Takt mit, während Leonard Cohens brüchige Stimme den Wagen füllt.
    Bei
Famous Blue Raincoat
dreht Martha ab. »Ist zu traurig«, sagt sie munter, als Hans sie überrascht ansieht. »Außerdem sind wir sowieso gleich da. Ich glaube, da vorn ist es.«
    Sie zeigt auf ein Haus, das etwas zurückgesetzt liegt. Ein altes Haus, wie alle Häuser hier, aus groben Natursteinen, über die wilder Wein kriecht, die Blätter zeigen noch Reste von Rot. Vor dem Eingang ein Ziehbrunnen, umgeben von einer halbhohen Mauer, auf der sich ein paar Katzen in der Nachmittagssonne räkeln.
    Hans stellt den Wagen auf dem großen Vorplatz ab. Drei Autos stehen bereits dort.
    Sie steigen aus und gehen zum Eingang. Martha drückt auf die Klingel und löst damit augenblicklich ein Bellen aus, das immer näher kommt.
    Silvio öffnet. Er trägt eine Küchenschürze und hält einen großen schwarzen Labrador am Halsband fest. Der Hund bellt und zieht an der Leine und wedelt dabei mit dem Schwanz.
    »Keine Angst, Nero ist einfach nur froh, wenn man lieb zu ihm ist. Er mag Menschen und würde einem Dieb noch die Beute hinterhertragen.«
    Lina streicht dem Hund über den Kopf.
    »Den wirst du heute nicht mehr los«, sagt Silvio und nimmt ihnen die Jacken ab. »Fühlt euch hier wie zu Hause. Die Schlafzimmer sind oben, aber am besten, ihr kommt erst mal mit in die Küche. Die anderen sind auch schon da.«
    Lina schaut hoch. »Heute ist Ihr Geburtstag, oder?«
    »Nein, nein, erst morgen. Wir feiern rein. Aber du kannst mich ruhig duzen.« Er wendet sich Martha zu und umarmt sie. Er drückt dabei etwas fester zu als sonst.
    »Eine hübsche Tochter hast du«, meint er, als er von ihr ablässt. »Na ja, eigentlich hab ich ja auch nichts anderes erwartet, bei der Mutter.«
    Noch vor ein paar Tagen hätte sie so eine Bemerkung von ihm geärgert. Jetzt lacht sie ihn an.
     
    Die Küche ist ein riesiger Raum, größer als ihr Wohnzimmer zu Hause in Deutschland. Alles hier ist alt – der Herd, die Regale mit Tongefäßen darin, die mit »
Farina«
und »
Zucchero«
und »
Sale«
beschriftet sind, der Geschirrschrank, das Waschbecken, die Speisekammer, deren Tür offen steht und den Blick freigibt auf Vorräte, die sich bis zur Decke stapeln.
    In der Mitte steht ein Tisch, über dem eine gelbe Porzellanlampe hängt. Eine Tür führt hinaus in einen Garten mit Obstbäumen, Kräutern und Rosen, die nur noch vereinzelte Blüten tragen.
    Michele steht vom Tisch auf. Nur zwei Stunden waren sie jetzt getrennt, seitdem Martha die Tür seiner Wohnung hinter sich zugezogen hat. Ihr kommt es vor wie zwei Wochen.
    Sie stellt Lina und Hans vor.
    Die Männer schütteln sich die Hand und mustern sich dabei. Sie sind sehr verschieden, denkt Martha, und doch haben sie sich in dieselbe Frau verliebt. Genau dieser Film scheint bei beiden in ebendiesem Moment abzulaufen. Er zeigt eine Martha, die sich verändert hat.
    Michele wendet sich Lina zu, die sich ein halbherziges Lächeln abringt.
    Martha spürt, dass ihre Tochter viele Fragen hat, und sie spürt noch etwas, das ihr einen Stich versetzt. Einen Nadelstich. Ich bin ihr kein gutes Vorbild gewesen, denkt sie. Ich wollte immer alles richtig machen, aber schon in diesem ehrgeizigen Versuch lag der Keim des Scheiterns. Ich habe ihr beigebracht, wie man die Zähne zusammenbeißt und Dinge durchsteht und sich dabei ja nichts anmerken lässt. Aber Leichtigkeit und Spielfreude und Losgelöstheit hat sie von mir nicht
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