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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff
Autoren: B. Traven
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um zuerst einmal dem einen Nachbar einen sanften Bläser an die Kinnbacken zu haken, packt mich der Mann am Arm und sagt: »Nun sind wir da. Jetzt haben wir einander Lebewohl zu sagen.«
    Ein entsetzliches Gefühl, wenn man die letzte Minute so klar und trocken heranschleichen sieht. Nicht einmal schleichen. Sie stand gleich ganz nüchtern vor mir. Es war mir sehr trocken in der Kehle. Ich hätte gern einen Schluck Wasser gehabt. Aber nun war ja wohl an Wasser nicht mehr zu denken. Die paar Augenblicke würde es auch noch ohne Wasser gehen, das hätten sie mir sicher geantwortet. Ich hätte den Weinspender nicht für einen solchen Heuchler gehalten. Einen Henker hatte ich mir anders vorgestellt. Es ist doch ein dreckiges, ein schäbiges Geschäft; als ob es nicht andre Berufe gäbe. Nein, gerade Henker, Bestie sein, und das sogar noch als Beruf.
    Nie vorher im Leben hatte ich so stark gefühlt, wie wunderschön das Leben ist. Wunderschön und über alle Maßen köstlich ist sogar das Leben, wenn man müde und hungrig zum Hafen kommt und erkennt, daß einem das Schiff weggefahren ist und man zurückgelassen ist ohne Seemannskarte. Leben ist immer schön, wenn es auch noch so trübe aussieht. Und in einer so finstern Nacht auf freiem Felde einfach so fortgewischt zu werden, als wäre man nur gerade ein Wurm –! Hätte ich von den Belgiern nicht gedacht. Aber schuld daran ist die Prohibition, die einen so schwach macht gegen Versuchungen. Wenn ich jetzt, gerade jetzt, diesen Mr. Volstead hier zwischen meinen Fingern hätte! Was muß der Mann für eine böse Frau gehabt haben, daß er so etwas ausdenken und ausstinken konnte! Froh bin ich aber doch, daß auf mich diese Millionen Flüche nicht herabgedonnert werden, die das Leben dieses Mannes belasten.
    »Oui, Mister, wir haben Lebewohl zu sagen. Sie mögen ja ein ganz netter Mensch sein. Augenblicklich haben wir aber gar keine Verwendung für Sie.«
    Deshalb brauchen sie einen doch aber nicht gleich zu henken.
    Er hob seinen Arm. Offenbar, um mir die Schlinge über den Kopf zu werfen und mich zu erdrosseln; denn die Mühe, einen Galgen aufzubauen, hatten sie sich nicht gemacht. Das hätte zu viel Ausgaben verursacht.
    »Da drüben«, sagte er nun und zeigte mit ausgestrecktem Arme in die Richtung, »da drüben, geradewegs, wo ich hinweise, da ist Holland. Netherland. Haben Sie doch sicher schon davon gehört?«
    »Ja.«
    »Jetzt gehen Sie geradewegs in jene Richtung, die ich Ihnen hier mit meinem Arme andeute. Ich glaube nicht, daß Sie da jetzt einen Kontrollbeamten treffen werden. Wir haben uns erkundigt. Sollten Sie aber jemand sehen, dann gehen Sie ihm sorgfältig aus dem Wege. Nach einer Stunde Gehens immer in dieser Richtung kommen Sie an die Eisenbahnlinie. Folgen Sie der Linie noch eine kurze Strecke in derselben Richtung, dann kommen Sie zur Station. Halten Sie sich da in der Nähe auf, aber lassen Sie sich nicht sehen. Gegen vier Uhr morgens kommen dann eine Menge Arbeiter, und dann gehen Sie zum Schalter und sagen nur ›Rotterdam derde klasse‹, aber sagen Sie kein einziges Wort mehr. Hier haben Sie fünf Gulden.«
    Er gab mir fünf Geldscheine.
    »Und da ist noch ein Happen zu essen für die Nacht. Kaufen Sie nichts auf der Station. Sie sind bald in Rotterdam. So lange halten Sie es dann schon aus.«
    Nun gab er mir ein kleines Paketchen, in dem allem Anschein nach Butterbrote waren. Dann bekam ich noch ein Paket Zigaretten und eine Schachtel Zündhölzer.
    Was soll man von diesen Leuten sagen? Sie sind hinausgeschickt, um mich zu henken, und geben mir noch Geld und Butterbrote, damit ich mich aus dem Staube machen kann. Sie haben ein zu gutes Herz, mich so kalt umzubringen. Da soll man nun die Menschen nicht lieben, wenn man so gute Kerle selbst unter den Polizisten findet, deren Herz durch das ewige Menschenjagen durch und durch verhärtet ist. Ich schüttelte den beiden so sehr die Hände, daß sie Angst bekamen, ich wollte die Hände mitnehmen.
    »Machen Sie nicht solchen Spektakel, einer von drüben kann Sie vielleicht gar hören, und dann ist alles im Dreck. Und das wäre nicht gut, dann könnten wir wieder von vorn anfangen.« Der Mann hatte recht. »Und nun hören Sie gut zu, was ich Ihnen jetzt sage.« Er sprach halblaut, bemühte sich aber, mir alles deutlich zu machen dadurch, daß er das Gesagte mehrfach wiederholte. »Kommen Sie ja nicht noch mal nach Belgien zurück, das kann ich Ihnen nur sagen. Wenn wir Sie noch mal innerhalb unsrer
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