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Das Todeshaus

Das Todeshaus

Titel: Das Todeshaus
Autoren: Scott Nicholson
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abgetan wurden. Eine Investigation kurz vor dem Umbau des Gebäudes in ein Künstlerrefugium hatte keinerlei Daten erbracht und auch nicht die Begeisterung und den Enthusiasmus anderer paranormaler Forscher geweckt.
    Doch vielleicht waren diese Wände von Korbans Schmerz, seiner Wut, seiner Liebe, seiner Hoffnung und seinen Träumen durchtränkt wie die Vertäfelung von der Wacholderfarbe. Vielleicht hatten dieses Holz, die Steine und das Glas die strahlende Energie seiner Menschlichkeit aufgesogen. Vielleicht war das Herrenhaus, von dessen Bau er besessen gewesen war, nun sein Gefängnis. Vielleicht war es nicht seine freie Entscheidung, als Geist umherzuwandeln, sondern seine Pflicht.
    Vier, ein gehisstes Segel …
    Langsam drang sie in die graue Ebene zwischen Schlaf und Bewusstsein und fragte sich, ob sie vom Herrenhaus träumen würde, nun da sie tatsächlich hier war. Sie verschloss ihren Geist vor ihren fünf Sinnen, sodass nur noch der eine übrig war. Der, über den Stephen sich lustig gemacht und den Anna immer vor ihren wenigen Freunden und den vielen Pflegeeltern verborgen hatte. Schließlich war der Grat zwischen Empfindsamkeit und Wahnsinn sehr schmal.
    Drei, eine Adlerklaue …
    Für einen kurzen Moment schrak sie auf. Etwas schlich hinter der Leiste aus Ahornholz vorbei und huschte die Risse zwischen den Brettern entlang. Sie wollte die Augen nicht öffnen. Sie konnte besser sehen, wenn sie geschlossen waren.
    Zwei, ein stolzer Schwan …
    Sie spürte, wie Augen auf ihr ruhten. Irgendetwas beobachtete sie, vielleicht ihr eigener Geist, die Frau, die sich in ihren Träumen aus dem Rauch gebildet hatte und die ihr den Blumenstrauß als tödliches Willkommensgeschenk entgegen hielt.
    Eins, eine Trennlinie …
    Die Grenze zwischen Etwas und Nichts, die Schwelle zwischen Hier und Dort, Bett und Grab, Liebe und Hass, schwarz und weiß.
    Null.
    Nichts.
    Anna war aus dem Nichts gekommen, war ins Nichts hineingeboren worden und ging nun dem Nichts entgegen. Sowohl ihre Vergangenheit als auch ihre Zukunft waren schwarz.
    Sie öffnete die Augen.
    Niemand war im Zimmer, kein Geist trieb sein Unwesen.
    Nur Korbans Gemälde hing da, starr wie getrocknetes Öl, mit Gesichtszügen, die vom flackernden Feuerlicht verdunkelt wurden.
    Die Sonnenstrahlen fielen jetzt in einem steileren Winkel in den Raum. Der Schmerz war gewichen. Anna stand auf und ging nach draußen, um auf den Sonnenuntergang zu warten. Sie fragte sich, ob dies die Nacht sein würde, in der sie endlich sich selbst begegnete.

 
     
     
    4. KAPITEL
     
    Mason starrte auf das große Ölgemälde, das über dem Kamin an der Wand hing. Es starrte direkt auf ihn zurück, genauso ernst wie alle Kunstlehrer, die Mason zeit seines Lebens unterrichtet hatten. Das finster dreinblickende Porträt dominierte in zehnfacher Lebensgröße den ganzen Raum. Die Hauttöne der Ölfarben waren so realistisch, dass Mason sich nicht gewundert hätte, wenn die Figur plötzlich aus dem kunstvoll verzierten Rahmen herausgesprungen wäre. In ein Messingschild unter dem Gemälde war ein Name eingebrannt.
    Ephram Korban.
    Aufmerksam betrachtete Mason die schwarzen Augen. Es waren die einzigen Wesenszüge, die nicht so realistisch waren wie der Rest des Gemäldes. Die Augen waren tot, stumpf, ohne Seele. Doch Mason war kein Maler und konnte daher keine fundierte Kritik äußern. Zum Teufel mit den Kritikern! Und eigentlich war er auch viel mehr an dem Rahmen als am Gemälde interessiert. Anscheinend war er von Hand geschnitzt.
    Mason schaute hinter sich zu den Leuten, die sich im Foyer sammelten. Durch die offene Tür konnte er zwei Männer in Latzhosen erkennen, die den Wagen abluden. Eine vollbusige Frau um die Vierzig in einem langen, schwarzen Kleid schien überall gleichzeitig zu sein, gab Anweisungen, verteilte Getränke in langen, schweißnassen Gläsern, schüttelte Hände. Mason ging näher an den Kamin heran. Obwohl es tagsüber für Ende Oktober ziemlich warm gewesen war, prasselte ein Feuer darin, das in Gelb und Orange und anderen Herbstfarben leuchtete.
    Auch der Kaminsims war handgeschnitzt. Ein Flachrelief mit Cherubim und Seraphim, in dem dralle Raffaelische Engel zwischen dicken, wogenden Wolken umherflogen. Mason vergewisserte sich, dass seine Finger sauber waren, und befühlte dann die sanft geschwungenen Gebilde. Während seine Hände auf Wanderschaft gingen, bemerkte er, dass jemand ein halbvolles Glas Rotwein auf dem Sims hatte stehen lassen. Das Glas
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