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Das Todeshaus

Das Todeshaus

Titel: Das Todeshaus
Autoren: Scott Nicholson
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die vergänglichen Fäden wieder zurück in das Reich spulten, aus dem sie gekommen waren, hatten die ruhelosen Augen fest in die von Anna gestarrt.
    Es war ein Moment gegenseitigen Verstehens gewesen.
    Neun, Schlaufe mit Schwänzchen …
    Das war ihre erste Investigation mit Stephen gewesen. In einer Winternacht, als der Wind selbst für Geister zu eisig war, hatten sie auf dem Fußboden der Hanger Hall von Asheville miteinander geschlafen. Und zwei Wochen später hörte sie zufällig auf einer Party, wie er sie eine »Traumtänzerin, wenn auch eine liebenswerte Traumtänzerin« nannte.
    Nach sechs Jahren Studium und Feldforschung war sie also in etwa so respektabel wie eine Telefonwahrsagerin. Draußen in der realen Welt gab es mehr als genug Skeptiker, zwischen hartgesottenen Wissenschaftlern und denjenigen, die immer für eine gute alte Hexenverbrennung zu haben waren. Doch das Gelächter ihrer eigenen Kollegen reichte aus, um sie an imposante, gespenstig leere Orte zu treiben, an denen sie allein nach Geistern jagen konnte.
    Acht, ein doppeltes Tor …
    Dann kam der Schmerz – und der erste Traum. Sie trat aus dem Wald, ihre Füße berührten sanft das feuchte Gras. Der Rasen war von einem solch tiefen Grün, wie nur Träume es hervorbringen konnten. Das Herrenhaus stand vor ihr, die Fenster wie dunkle Augen, die Bäume ringsherum verdreht und kahl. Ein einzelner Rauchfaden stieg aus einem der vier Schornsteine empor. Er kräuselte sich, lief wieder zusammen und sammelte sich auf dem Dach genau über der weißen Brüstung.
    Eine Gestalt nahm langsam Form an und das Flüstern – »Anna« – einer Frau riss sie aus dem Schlaf, wie in den vielen darauffolgenden Nächten auch.
    Sieben, scharf und gerade …
    Genau das war der Schmerz: eine Sieben, die in ihre Eingeweide stach.
    An dem Tag, als sie erfuhr, dass der Darmkrebs gestreut und sich in ihrer Leber Metastasen gebildet hatten, kam Stephen vorbei. Er hielt ihre Hand und irgendwie schafften es seine Augen, hinter den dicken Gläsern seiner Brille feucht und glasig auszusehen. Sogar der Schnurrbart zuckte leicht.
    Aber er war zu praktisch veranlagt, emotional zu abgestumpft, um zu verstehen, was die Diagnose bedeutete. Für ihn war der Tod nicht viel mehr als Pulsstillstand, eine Veränderung der Energiewerte.
    So viel zum Thema Seelenverwandtschaft.
    Selbst nachdem Anna den Ärzten eine Kolektomie ausgeredet, das Todesurteil akzeptiert hatte, und der Krebs sich im rasenden Tempo auf andere Organe ausbreitete, tat Stephen noch so, als ob die Wissenschaft irgendwann einschreiten und sie retten würde.
    Wahrscheinlich betete er sogar zur Wissenschaft, der kältesten aller Gottheiten. Sein Angebot, sie aus dem Krankenhaus nach Hause zu fahren, lehnte sie ab. Sie hatte mittlerweile eingesehen, dass Einsamkeit ein natürlicher Zustand für jemanden war, der bald ein Geist sein würde.
    Sechs, Schlaufe mit Schnippchen …
    Wunder geschehen, hatte einer der Onkologen zu ihr gesagt. Doch sie erwartete nicht, dass sie in einem Krankenhaus geschahen, wo Schläuche Strahlung in sie hineinpumpten, Klingen einen Teil nach dem anderen von ihr abschnitten, Ärzte ihre dahinschwindenden Tage im Kalender abhakten. Und sie hatte im Krankenhaus aufgehört zu träumen. Erst zurück daheim, in den frühen Morgenstunden und der Ruhe ihres eigenen Bettes, stand das Herrenhaus erneut vor ihr.
    Nacht für Nacht wurde der Traum länger und realistischer. Die Gestalt auf dem Dach nahm immer mehr an Form an. Schließlich konnte Anna das in der Ferne liegende Gesicht klar und deutlich erkennen. Das durchsichtige, wie ein Schleier dahin fließende Haar, die kobaltblauen Augen, das einladende Lächeln, der Blumenstrauß, den sie auf der verlassenen Plattform des Witwenstegs vor sich trug. Endlich sah sie, wer die Frau war.
    Es war Anna.
    Fünf, ein Mann mit Bauch …
    Der Schmerz war jetzt weicher, wie Schnee, der sanft und leise auf Blumen herabfällt.
    Sie hatte ein wenig recherchiert. Sie wusste, dass sie das Haus nicht nur kannte, weil es sie in ihren Träumen heimsuchte. In den Archiven des Rhine Research Center fand sie ein paar Fakten über Korban Manor. Ephram Korban hatte zwanzig Jahre mit dem Bau seines Anwesens auf der abgelegenen Klippe in den Appalachen zugebracht, und sich dann vom Witwensteg in den Tod gestürzt. Ganz offensichtlich ein Selbstmord. Einige Einwohner der Kleinstadt Black Rock berichteten über Sichtungen, die jedoch meistens als das Gerede des Dienstpersonals
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