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Das Todeshaus

Das Todeshaus

Titel: Das Todeshaus
Autoren: Scott Nicholson
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richtete sich auf das Scheunentor. Ein Hufeisen hing darüber, die offene Seite nach oben. Das stumpfe Metall fing das allmählich schwindende Tageslicht ein. Als ob Glück eine Rolle spielte.
    »Sie sind schon sehr lange bei uns.«
    »Und ich möchte noch eine Weile hier bleiben.«
    »Dann lassen Sie mich also nicht hängen?«
    »Ich werde ihn angemessen begraben, mit Silber auf seinen Augen. Ich bin stolz auf meine Arbeit.«
    »Ephram hat immer gesagt ›Stolz wird dich durch die Tunnel deiner Seele führen‹.«
    »Ephram Korban hat viele Dinge gesagt. Und die Leute haben viele Dinge über ihn gesagt.«
    »Einige davon könnten sogar wahr sein.«
    Miss Mamie streichelte die Puppe, erlebte ihren eigenen Moment des Stolzes, den Stolz auf ihre kunstfertige Umsetzung. Volkskunst nannten sie das. Die kleine Puppe enthielt bei Weitem mehr Volk als irgendjemand ahnte. »Entschuldigen Sie mich, ich habe Gäste zum Abendessen.«
    Ransom verbeugte sich leicht und zog an den Trägern seiner Latzhose. Miss Mamie wandte sich von ihm ab, damit er das Vieh füttern konnte, und lief in Richtung des Herrenhauses. Sie trug die Puppe als wäre sie ein wertvolles Geschenk für einen geliebten Menschen. Auch wenn ihr das Haus so vertraut war wie ihre eigene Haut, durchströmte sie jedes Mal aufs Neue ein Rausch der Freude, wenn sie es aus einiger Entfernung sah. Die Felder, die Bäume, der Bergwind – alles schien seinen Namen zu singen.
    Das war ihr Zuhause.
    Ihrer beider Zuhause.
    Für immer und ewig.

 
     
     
    3. KAPITEL
     
    Anna Galloway zog die Spitzengardinen des Schlafzimmerfensters zurück. Der Luftzug wirbelte ein wenig von dem Staub auf, der sich auf den Fensterscheiben angesammelt hatte. Das Licht der Sonne legte sich auf ihre Schultern, ihr sanfter Schein wärmte den Fußboden unter ihren Füßen. Die Bergluft im Oktober war kühler als sie es gewohnt war, und selbst das prasselnde Feuer konnte nicht verhindern, dass sie fröstelte. Über dem Kamin hing ein Gemälde von Ephram Korban, kleiner als das im Erdgeschoss, aber mindestens genauso düster. In einer Sache hatte der Bildhauer mit der Höhenangst auf jeden Fall recht: Korban war ein durch und durch selbstverliebter Mann gewesen.
    Sie sah aus dem Fenster und ließ ihren Blick über die weitläufige Rasenfläche hinweg schweifen. Hier war sie nun – endlich. An dem Ort, an dem sie aus irgendeinem ihr unbekannten Grund sein musste. Es war das Ende der Welt. Sie wischte die fatalistischen Gedanken aus ihrem Kopf und schaute stattdessen dabei zu, wie ein Rotschimmel und ein Fuchs über die Weide galoppierten. Dieses Bild der Ruhe und des Friedens hauchten ihr Wärme ein.
    »Es ist zauberhaft, nicht wahr?«, fragte die Frau hinter ihr. Sie hatte sich Anna als »Cris ohne h« vorgestellt, als ob das fehlende H sie auf irgendeine Weise härter und weniger nachgiebig machte. Und da sie sich ein Zimmer teilen würden …
    »Es ist wunderschön«, sagte Anna. »Genau so, wie ich es mir erträumt habe.«
    Cris hatte bereits ihre Farben, Wasserfarbenpinsel und Skizzenblöcke auf dem gesamten Bett verstreut. Sie hatte das Bett an der Tür gewählt. Auf Annas kleinem Toilettentisch lag nur ein schmaler Stapel Bücher. Ihre Einstellung zu materiellem Besitz und weltlichem Komfort hatte sich im letzten Jahr drastisch geändert. Man reist mit leichtem Gepäck, wenn man nicht sicher ist, wohin die Reise gehen wird.
    Der Schmerz fegte durch ihren Magen, hinterhältig dieses Mal, wie eine Nadel, die in Zeitlupe immer wieder zusticht. Sie schloss die Augen, zählte rückwärts und stellte sich dabei große, dicke Zahlen vor.
    Zehn, dünn und rund …
    Neun, Schlaufe mit Schwänzchen …
    Sie war gerade bei sechs angelangt und der Schmerz schwebte irgendwo über diesem tiefen Abgrund in den Blue Ridge Mountains, als Cris’ Stimme sie zurückholte.
    »Und was machst du so?«
    Anna wendete sich vom Fenster ab. Cris saß auf dem Bett und bürstete ihr langes, blondes Haar. Anna war froh, dass ihre eigenen Haare durch die Chemotherapie nicht ausgefallen waren. Nicht nur aus Eitelkeit, sondern auch, weil sie alles von sich mitnehmen wollte, wenn sie ging.
    »Ich schreibe Forschungsartikel«, erwiderte Anna.
    »Oh, du schreibst.«
    »Keine Romane wie Jefferson Spence. Eher im Bereich Metaphysik.«
    »Wissenschaft und solches Zeug?«
    Anna saß auf ihrem Bett. Der Schmerz war zurück, jedoch nicht so stechend wie vorher. »Ich habe im Rhine Research Center in Durham gearbeitet. Als
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