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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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heruntergekommenen Viertel statt, am Westrand von Ashton, in einem flachen, nahezu fensterlosen Backsteingebäude, das einer Festung glich. Drinnen roch es nach Essen und Schweiß, und ich hörte Stimmen. Zur Linken war ein Büro, die Tür stand offen – niemand da –, und direkt vor mir lag ein großer Raum mit niedriger Decke, aus dem die Stimmen kamen. Ich ging zur Tür und blickte geradewegs auf Baz’ langes schwarzes Haar. Er sprach mit einem Jungen, den ich nicht kannte. Es waren etwa dreißig Jungs gekommen, aber außer mir nur drei Mädchen. Ein Junge saß im Rollstuhl. Ein magerer Typ mit Zöpfchen im Bart – ein Studententyp – stand uns gegenüber und sagte: »Ruhe bitte.« Er brummte etwas in der Art, die Menschen hätten die Erde anvertraut bekommen und sie missbraucht. Die vorn sitzenden Jungs wechselten Blicke, dann begannen sie zu tuscheln. Ein Junge asiatischer Herkunft in der ersten Reihe erhob sich und bat die Anwesenden zuzuhören. Es wurde gerufen: »Red weiter!«, »Halt den Mund!«, und rhythmisches Händeklatschen setzte ein. Der Zopfbart ließ sich unermüdlich über nutzlose Politiker aus, dann schrie ein blasser Junge mit schlaff herabhängendem braunem Haar auf uns ein. Er sah aus, als werde er jeden Moment in Tränen ausbrechen, und plötzlich wurden alle still. »Das ist kein Witz! Die Experimente der Wissenschaftler laufen der Natur zuwider. Weil sie die Natur angreifen, wehrt sich die Natur. Sie quälen Tiere …«
    Zopfbart bat ihn, den Vortrag nicht zu stören, doch der Asiate rief: »Warte, bis du dran bist!«, und vor mir kreischte ein Mädchen, es kreischte tatsächlich. »Frauen sterben! Und da redet ihr über Tiere? Frauen sterbe n !« Niemand hörte mehr irgendjemandem zu.
    Einige standen auf und gingen, und ich war froh, als Baz seine magere Gestalt aufrichtete und zum Ende meiner Sitzreihe kam. »Willst du gehen?«, formte er mit den Lippen, und ich stand auf. Neben mir saß ein Mann mit kurz geschorenem blondem Haar. Er erhob sich, um mich vorbeizulassen, dann bat er Baz und mich, noch einen Moment zu warten. Er ging nach vorn, hob die Hände, klatschte einmal laut und rief: »Freunde! Freunde!«
    Es war wie in der Schule; Mr. Clarke kommt herein, und es wird still. Ganz ruhig bat er uns, unsere Stühle im Kreis aufzustellen. Geduldig wartete er, bis wir alle wieder saßen, dann stellte er sich vor – Iain – und sagte, wir müssten unserer Stimme Gehör verschaffen, denn der Jugend gehöre die Zukunft. Der Junge im Rollstuhl, Jacob hieß er, rief: »Es gibt keine Zukunft!«, und das zornige Mädchen, Lisa, murmelte so laut, dass alle sie verstehen konnten: »Wer hat dich nach deiner Meinung gefragt?« Iain blickte sie an.
    »Ich sollte euch vielleicht etwas von mir erzählen«, wandte er sich an uns alle. »Ich bin Aktivist. Ich lebe in einem Solidaritätscamp und kämpfe dort gegen eine Hochdruckgasleitung. Vorher habe ich gegen eine neue Landebahn protestiert. Ich weiß also, wie das läuft. Ich bin nicht hergekommen, um euch Vorschriften zu machen.« Iain hat etwas Vorsichtiges an sich. Er zappelt nicht herum, ist immer ruhig, seine Stimme ist gelassen und bestimmt. Er fixiert einen mit seinen grauen Augen, so wie man ein verängstigtes Tier anschaut, das man wieder einfangen will. Man hat den Eindruck, dass er seine Worte sehr sorgfältig wählt, als überlege er in einem fort, wie er einen ansprechen soll, damit alles unter Kontrolle bleibt. Das fand ich faszinierend. Lisa sah auf ihre Hände nieder, als ginge sie das nichts an.
    »Okay«, sagte Iain. »Wie wär’s, wenn wir uns der Reihe nach kurz vorstellen würden, und jeder nennt eine wichtige Sache, die er gern ändern würde? Dann sprechen wir darüber, womit wir anfangen wollen.« Ein rotgesichtiger Junge in meiner Nähe schob lautstark seinen Stuhl zurück und meinte, das wär ja wie in der beschissenen Schule. Er ging raus und schlug die Tür hinter sich zu. »Noch jemand?«, fragte Iain, doch niemand rührte sich. Er zog das Flipchart heran und bat Ahmed, die Wünsche jedes Einzelnen zu notieren. Lisa sagte, sie wolle, dass mehr Geld in die MTS -Forschung gesteckt werde und dass die Wissenschaftler alle Experimente durchführen dürften, die dazu beitragen könnten, ein Heilmittel zu finden. Dabei blickte sie den blassen Tierbefreier Nat an, und der sagte natürlich, sämtliche Tierexperimente müssten unverzüglich eingestellt werden. Andere Leute stellten die üblichen Forderungen auf: Reduzierung
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