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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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des CO 2 -Ausstoßes, Ausstieg aus der Atomkraftnutzung, Waffenverkäufe verbieten, den Krieg verbieten, kein Genfood mehr. Als Jacob an die Reihe kam, sagte er: »Ich kann’s einfach nicht glauben. Hört ihr keine Nachrichten? In siebzig Jahren werden wir ausgelöscht sein, und ihr quasselt hier von biologischer Landwirtschaft?« Iain fragte ihn, was er verändern wolle, und Jacob antwortete: »Ich will’s diesen Schweinen zeigen, Mann. Ich will das Parlament in die Luft jagen!« Jemand rief: »Guy Fawkes!«, und alle lachten, auch Jacob.
    Iain hob hin und wieder beschwichtigend die Hand, wenn jemand dazwischenreden wollte, aber wir griffen unsere Vorschläge gegenseitig auf. Es ging um Wut, darum, dass die Erwachsenen, unsere Eltern, die Politiker und Geschäftsleute die ganze Welt ruiniert hatten. Wir wollten die Macht. Wir würden die Katastrophe, die sie angerichtet hatten, ausbaden müssen. MTS war das Schlimmste, aber es gab noch viele andere Dinge – Kriege, Überschwemmungen, Hungersnöte. Die Menschen hatten einfach damit weitergemacht, sich zu amüsieren – jetzt aber musste das ein Ende haben. »Sie können uns keine Vorschriften mehr machen«, sagte Jacob.
    »Nein«, sagte Lisa, »sie stehen in unserer Schuld.« Neben ihr saß ihr kleiner Bruder Gabriel. Als sie sprach, begann er zu weinen, und sie legte ihm den Arm um die Schulter und zog ihn an sich, redete währenddessen aber weiter. »Sie sind uns eine Entschädigung schuldig«, sagte sie. »Unsere Mütter sind tot, sie müssen uns anhören, sie müssen uns Geld geben.« Bestürzte Stille. Ich kannte bisher niemanden in meinem Alter, dessen Mutter tatsächlich gestorben war. Meistens erwischte es die Mütter jüngerer Kinder. Dann ging das Geschrei weiter von wegen, wir müssten uns Gehör verschaffen, Meetings abhalten, Versammlungen, bei denen viele Kinder zuhören und ihren Willen kundtun könnten. Iain sagte, wir sollten uns am nächsten Freitag wieder treffen, bis dahin wolle er eine Agenda aufstellen.
    Baz und ich gingen gemeinsam heim. Wir scherzten darüber, in Ashton eine Revolution auszurufen. Als ich am Ende meiner Straße abbog, sagte er: »Gute Nacht, Genossin.« Im Bett überlegte ich mir, dass es schön wäre, einer Gruppe anzugehören, welche die Dinge zum Besseren wenden wollte. Aber mir gefiel immer noch die Vorstellung, dass alles zusammenbrach und endete. MTS war eine Art Strafe, und ich glaubte, die Menschen – zumal die Alten – hätten es verdient, bestraft zu werden.

4
    Mit dem Besuch bei meiner Tante Mandy begann mein Sinneswandel. Es stimmt, was mit ihr passiert ist, hatte Einfluss auf mich. Aber Einfluss trifft es nicht ganz; es stellte eher eine Art Druck dar. Etwas ändern zu wollen, es aber nicht zu können, war ein Kopfschmerz, der über Wochen hinweg langsam in mir wuchs, der immer weiter anschwoll wie ein Heißluftballon, bis für nichts anderes mehr Raum war. Ich glaube, an diesem Tag fing es an.
    Mum und ich gingen abends zu Mandy. Ihre hellen Wände, ihre Marionetten und Masken kamen mir auf einmal trüb und schmuddelig vor. Mum meinte, Mandy solle mal ihre Glühbirne wechseln, doch es lag nicht an der Beleuchtung. Das Pappmaschee auf dem großen Tisch war getrocknet und klebte an der Innenseite des Eimers, der Ton war steinhart, die herumliegenden Stofffetzen waren eingestaubt. Es sah so aus, als hätte sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gearbeitet, vielleicht seit der Trennung von Clive nicht mehr. Sie hatte sich das angegraute schwarze Haar aus dem Gesicht zurückgekämmt und um eine große Stricknadel aus Holz gewickelt, ihre Haut war pergamenten. Sie sah ein bisschen aus wie eine Hexe. Sie wirkte nicht mehr jünger als Mum. Mum ließ ihr graues Haar niemals hervorkommen, und ihre Haut ist so glatt, dass man sie am liebsten immer streicheln würde, »so glatt wie ein Babypopo!«, pflegte mein Dad sie zu necken, wenn sie gute Laune hatten.
    Vor Mandys Stuhl stand eine offene Weinflasche, und sie schenkte sich und Mum davon ein. Sie erkundigte sich bei mir nach der Schule und allem, aber ich merkte, wie Mum sich im Zimmer umschaute. Dann lief sie zum Backofen und meinte, die Pizza wäre längst fertig. Als wir gegessen hatten und die beiden zur zweiten Flasche Wein übergegangen waren, fragte Mum Tante Mandy, ob sie in Penny Meadow gewesen sei. Dort gab es ein überfülltes MTS -Krankenhaus, in dem sie ausgeholfen hatte.
    »Diese Woche war ich jeden Tag da«, antwortete Mandy.
    »Lässt der Andrang nicht
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