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Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Autoren: Marisa Brand
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die Leitung des Kronrates, den er jedoch nie um Rat fragte. Viele nannten ihn Englands einzigen Herrscher, der dem Thronerben alle Macht abschmeichelte. Dudley nährte in dem Minderjährigen, den schon die Seymours wie eine Puppe geführt hatten, geschickt den Glauben, er regiere selbst und das Kraft göttlicher Weisheit. Jeder Tudor war maßlos eitel. Diese Eitelkeit zu streicheln war das Geheimnis von Dudleys Erfolg.
    Dem kränkelnden Edward, der sein Marionettenleben hasste, überzeugte er, dass er ein König Jesaja sei. Jener biblische Knabenfürst, der auserwählt war, sich gegen Habgier und Raffsucht der Vornehmen, gegen falsche Gelehrte und alle Sünden erfolgreich zu empören. Ein kommender Weltenheiler – größer noch als sein Vater, der selbsternannte Tudor-Gott Heinrich. Der Herzog war ein einfühlsamer Schmeichler, vertraut mit den Abgründen der Seele, wendig wie ein Eidechsenschwanz und glatt wie ein seidener Mantel. Wer danach griff, rutschte ab. Sollte Edward tatsächlich sterben, drohte Dudley ein tiefer Sturz.
    Das Flüstern im Kirchenschiff gewann an Kraft und ließ Samuel die Ohren spitzen. Die Krähe betete jetzt laut. Erstaunlich! Gott hatte ihr die Stimme eines Singvogels geschenkt. Melodiös, wenn auch einen Hauch zu klagend. Immerhin trug ihre Stimme gut. Er neigte das linke Ohr zum Vorhang.
    »Du, mein Gott, hast mich gelehrt zu überleben, als mir mein Leben wertlos, kahl und fadendünn erschien. Dafür danke ich dir ...«
    Tat sie das? Es klang nicht danach.
    Cass brach ab, ließ die Hände sinken und tastete nach dem verdorrten Leder eines Buches, das in ihrem Schoss lag. Sie setzte noch einmal an. »Herr, du bietest mir nun unverhofft die Aussicht auf Glanz und Fülle.«
    Der Mann im Beichtstuhl unterdrückte ein Schnauben. Jetzt kam sie der Sache näher, wobei unverhofft  wohl kaum den Tatsachen entsprach. Wer für Dudley arbeitete, tat es aus Gier. Für gute Handgelder, einen Titel, einen Posten bei Hof oder enteignetes Kirchenland. Wer es allerdings erfolglos tat, brauchte von all dem nichts mehr. Ein Totenhemd hatte keine Taschen. Rührten daher Furcht und Zweifel in der Stimme des Mädchens?
    »Auch dafür danke ich«, kam es matt aus der Kirchenbank.
    Dankbarkeit schien nicht zu den ersten Tugenden dieses Kindes zu zählen.
    Cass schüttelte den Kopf. Wieder eine halbe Wahrheit. Sie hatte das Leben bei Hof von Anfang an gehasst. Das tägliche Gedränge auf den Korridoren, in den Präsentations-, Audienz- und Empfangsgemächern, den Kabinetten, den Gärten, in Innenhöfen, auf Stiegen, Treppen und im Abort. Die plötzliche Freundlichkeit ihres Ziehvaters Dudley, der sie vor drei Monaten von seinem Landgut herbefohlen hatte, weckte in ihr weder Zuneigung noch Dank. Sie hatte lediglich ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht, und hier hatte sie nicht einmal mehr das Vorrecht auf Einsamkeit.
    Wo immer man sich bei Hof bewegte, war man umgeben von Schwärmen von Höflingen und Menschen, die auf Aufmerksamkeit hofften, um die Protektion eines Verwandten voranzutreiben, um eine Anhörung beim Anwalt des Hofes zu erwirken oder Beschwerde einzulegen gegen die Besteuerung von Dohlennetzen zum Schutz der Saat oder neue Brückenzölle.
    Zudem war jede noch so unbedeutende Unternehmung von einem Ritual umgeben. Verlangte ein Mitglied des Kronrates oder der König nach einem simplen Ale, nach Brot oder Käse, versetzte dies eine Heerschar verschiedener Personen in Aufruhr, deren Privileg und Stolz es war, die Anfrage an den zuständigen Obermundschenk zu übermitteln, der wiederum einen speziellen Boten zum haushofmeisterlichen Speisenträger zu senden hatte, welcher jedoch nicht die Küchen betreten durfte, bevor ein Aufseher des Oberhofkochs informiert war. Dieser und andere schwerfällige Vorgänge sorgten für beständiges Gerenne und Tumult. Sie wollte nicht bei Hof bleiben, sie wollte ihm um jeden Preis entfliehen! Endlich frei sein von den Dudleys und ihrer zweifelhaften Protektion.
    Und nun gab es einen Weg. Einen lockenden Weg. War es Sünde, ihn beschreiten zu wollen? Sie hatte immer mehr Kraft und Zorn in sich gespürt, als einem Mädchen guttat. Und sie hatte einen Verstand, der ihr sagte, dass sie in dieser Welt einen Mann brauchte, um frei zu sein. Einen Verbündeten, der verwegen genug war, es mit Dudley aufzunehmen und ihn, wenn nötig, zu vernichten.
    Ihre Finger befühlten rastlos den gebrochenen Buchrücken, die zerlesenen Blätter, die sich aus der Bindung lösten. Ihr
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