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Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Autoren: Marisa Brand
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tröstlichster und über lange Jahre auch gefährlichster Besitz. Es war das einzige Erbstück ihrer Mutter. Eine der ersten Ausgaben des Psalters in englischer Zunge und ein Flammenscheit zu ihrem Tod als Märtyrerin des neuen Glaubens.
    Unter dem schwankenden Reformer Heinrich Tudor noch verboten, waren Übersetzungen von Pentateuch, Psalter und Neuem Testament am Hof seines Sohnes nun Ausweis höchster Glaubenstreue und als Schmuckstücke so begehrt wie ehemals geschnitzte Rosenkränze. Allerdings in anderer Ausstattung als ihr schäbiges Exemplar. Jede Dame, die auf sich hielt und gefallen wollte, trug inzwischen eine juwelengeschmückte Miniaturbibel am Gürtel. Adelstöchter übten den fließenden Griff nach den Büchlein, um die absichtslose Eleganz ihrer Gesten zu zeigen. Sie probten Demutsblicke unter flatternden Lidern und zartes Stirnrunzeln beim Lesen so eifrig wie die Sprünge von Volta und Galliard. War ihre Mutter dafür gestorben? Für alberne Gänse und ...
    »... mannstolle Wachteln?«, entfuhr es ihr. Die Wände der Kirchenhalle verstärkten ihre Stimme zu einem kalten Fauchen.
    Wie? Der Mann im Beichtstuhl richtete sich überrascht in den Polstern auf.
    Erschrocken schlug Cass die Hand vor den Mund. Selber Gans! Mein elender Zorn ist kein Beweis dafür, dass mein Glauben aufrichtiger ist als modische Frömmelei! Im Gegenteil! War sie denn besser als die Höflinge, die im Glauben nur ihren Vorteil suchten, oder als gefallsüchtige Mädchen, für die Religion nur Zierrat war?
    Nervös blätterte sie in ihrer Bibel, begann den 23. Psalm Davids herzusagen. »Der Herr ist mein Hirte, er weidet mich ...« Ihre gehetzte Stimme gab selbst ihren Lieblingsversen einen heuchlerischen Klang.
    »Ach, wärest du kalt oder warm. Weil du aber lau bist, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde« , brach es wütend aus ihr hervor.
    War dieses Mädchen irre? Warum vermengte es Psalter und Offenbarung? Trieb es ein Spiel?
    »Verflu-!« Cass biss sich auf die Lippen. Warum fand sie keine Worte, um Ihm zu offenbaren, was ihr Herz beschwerte? Beschwerte? Was es zum Singen brachte!
    Ihre Fingerspitzen fuhren über einen mit Parfümöl bedufteten Papierstreifen, der ihr als Lesezeichen diente.
    Ein jeder Mensch ist wie der Mond, er hat auch eine dunkle Seite. Ich bin der Schatten, du mein Licht. Du sanfte Taube im Felsennest, erhöre mich und schenke mir deine Gunst, erlöse, heile, liehe mich.
    Wenn er es doch nur ernst meinte! Das schöne Gesicht des Marquis de Selve tauchte vor ihr auf, die wie von Künstlerhand gezeichneten Lippen, sein schlanker, muskulöser Leib. Schneidenscharf erinnerte alles an ihm daran, wie sehr es sich lohnen konnte, zu leben – und zu lieben.
    Ihr Puls begann zu jagen. Rasch schlug sie das Buch zu, bedeckte es mit einer Falte ihres Wollgewandes. Feige Heuchlerin, beschimpfte sie sich. Deine Mutter ist für die Freiheit gestorben, jederzeit mit Gott zu sprechen, Ihm alles und in jeder Sprache sagen zu dürfen ... und zu müssen.
    Aber was, wenn mir nicht der Sinn danach steht, mich ihrem Gott der Tapferen, Duldsamen und Demütigen anzuvertrauen? Was, wenn es etwas gibt, das man nicht Seinem Licht und Seiner Prüfung ausliefern will, weil es meilenweit entfernt ist von dem Himmelreich, dass die Bibelfrommen den Märtyrern und Verfolgten versprechen? Und ganz und gar von dieser Welt. Trotzig holte Cass Luft.
    »Herr, ich will endlich leben und hier auf Erden glücklich sein! Hast du die Welt nicht auch darum erschaffen? Verlange ich zu viel?«
    Krämerseele! Wenn dir dein Heil nichts wert ist, dürfte der Lohn, den du von Dudley einstreichst, genügen, dachte der Mann hinter dem Vorhang verächtlich.
    Das Knarren von Holz ließ Cass zusammenzucken. Ihr Blick huschte zu dem Beichtstuhl. Flüchtig sehnte sie sich in das samtene Dunkel der Holzzelle, nach einem milderen Beichtvater als ihrem Gewissen. Nach einem durchsichtigen, fast körperlosen Mann mit Bart, wie sie sich als Kind einen ewig gütigen Gott gemalt hatte. Der alles verstand, ihren Hang zum Zorn, ihren uralten Schmerz, ihren Drang nach Freiheit und ... Sie holte tief Luft ... ihre Lebensgier. Wie tröstlich jetzt ein Pater wäre, der ihr Gebete wie Medizin verordnen und Absolution erteilen würde.
    Du bist schon wieder albern, schalt sie sich. Der Allmächtige gehört nicht den Priestern, die fehlbar sind wie du. Und ist es vor Gott überhaupt eine Sünde, der Sprache des Herzens zu folgen? Sie begehrte de Selve ja nicht nur, um den
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