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Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Beate Maly
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Seemann, dass nun auch ihn der Fluch des Buches getroffen hatte.
    Der Matrose drehte sich langsam um. Er zwinkerte, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Woher war der Pfeil gekommen? Er versuchte mit dem rechten Arm nach hinten zu greifen, um ihn herauszuziehen. Aber sosehr er seine Glieder verrenkte, es gelang ihm nicht. Plötzlich spürte er, wie der Fluch zu wirken begann. Seine Muskeln wurden schlaff, er sank zu Boden, konnte seine Arme und Beine nicht mehr bewegen. Sein Gehirn allerdings arbeitete noch, er hörte leise Schritte. Doch er konnte den Kopf nicht drehen, konnte seinen Mörder nicht sehen.
    Ich werde ersticken, dachte er und fand den Gedanken eigenartig, weil genau das der Tod gewesen war, vor dem er sich in den letzten Jahren so sehr gefürchtet hatte. Wie die meisten Matrosen hatte er nie das Schwimmen erlernt. Und jetzt war es nicht das Wasser, das ihm die Luft zum Atmen nahm, sondern der verdammte Fluch. Er lag am Boden, konnte die Augen nicht mehr schließen und wartete auf den langsam einsetzenden Tod. Sein letzter Gedanke galt dem Schnee, der weich und nass auf seine Wangen fiel und sich dort in Wassertropfen verwandelte. Flocken landeten in seinen Augen, deren Lider er nicht mehr schließen konnte, und auf merkwürdige, fast absurde Art tröstete es ihn, in der Stunde des Todes noch ein letztes Mal Schnee zu sehen.

2
    Prag 1618
    M IT SICHEREN B EWEGUNGEN LEERTE Jana die glänzende Schale der Apothekerwaage und füllte Fenchelsamen in einen Mörser aus Stein. Vorsichtig zerstieß sie die Samenkörner, und der würzig-süßliche Geruch von frischem Fenchel drang ihr in die Nase. Jana hielt die Luft an, denn der Geruch löste Erinnerungen an einen köstlichen Hühnereintopf aus, den sie letzten Sommer bei der Frau des Schmieds gegessen hatte. Leider hatte sie sowohl den Namen des Gerichts als auch das Rezept vergessen. Sie musste Frau Kovarik danach fragen, wenn sie sie das nächste Mal sah. Mit dem Gedanken an gutes Essen mischte Jana den Fenchelsamen mit getrockneter Pfefferminze und zerstoßenem Anis und Kümmel und teilte die entstandene Teemischung auf drei kleine Säckchen auf.
    Als sie damit fertig war, hörte sie, wie ihre Tante die schmale Holztreppe aus dem ersten Stock herunterkam, wo sich die Wohnstube befand. Radomila besaß die Angewohnheit, mit ihren zierlichen Lederschuhen so schwer aufzustampfen, als trüge sie Holzpantoffel. Auf diese Weise wurde man von ihrem Auftauchen nie überrascht.
    »Jana, meine Liebe …«, sagte die Tante, und in dem Moment wusste Jana, dass Radomila sie gleich um etwas bitten würde. Den Zusatz »meine Liebe« benutzte die Tante nur, wenn sie ein Anliegen hatte.
    Langsam hob Jana den Kopf und warf Radomila einen misstrauischen Blick zu. Die Tante trug ihr bestes Kleid, hatte ihr allmählich ergrauendes dunkles Haar unter einer sauberen weißen Haube hochgesteckt und mit etwas roter Farbe im Gesicht nachgeholfen, damit die Wangen frisch aussahen. Um den Hals trug sie eine honiggelbe Bernsteinkette, der schwere Anhänger in Herzform, ein Geschenk des Onkels, lag mitten auf ihrem üppigen Busen. Sie hatte sich zum Ausgehen fertiggemacht.
    »Ich bin mit Lenka Bednarik verabredet«, erklärte Radomila und überprüfte mit beiden Händen noch einmal, ob die Haube auch wirklich gut saß. Dabei warf sie einen Blick auf den abgesperrten Glasschrank, in dem sich giftige und gefährliche Substanzen befanden. In der sauber polierten Glasfläche spiegelte sich ihr Bild, sie schien zufrieden damit.
    »Es geht um den Kräuterregen zu Christi Himmelfahrt«, sagte Radomila und steckte eine lose Haarsträhne zurück unter die Haube.
    »Der Regen ist eine Angelegenheit der Katholiken«, erwiderte Jana erstaunt. »Was haben wir Protestanten damit zu tun?«
    »Die Frau des Ratsherrn Bednarik ist Katholikin, sie hat mich gebeten, Kräuterschmuck zur Verfügung zu stellen. Da die Familie Bednarik zu unseren besten Kunden gehört, werde ich mich hüten, sie vor den Kopf zu stoßen, und ihre kleine Bitte ganz sicher nicht ablehnen. Der Ratsherr Bednarik kauft unsere Salben und liefert sie bis nach Wien. Katholiken hin oder her, wichtig ist doch, dass die Apotheke gute Geschäfte macht.«
    Jana warf einen Blick auf das Wolltuch in ihrer Hand und runzelte die Stirn. Es war nicht mehr ganz frisch, aber zum Reinigen des Mörsers würde es reichen. Sie hielt nichts von den katholischen Bräuchen und von der Verehrung Marias. Die Katholiken nannten die Mutter Jesu die
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