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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus
Autoren: Dirk C. Fleck
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müssen«, hörte er Rudolf sagen.
    Steve gab sich einen Ruck und ging hinaus. Die Mondsichel betupfte den gezackten Bergrücken, der die Bucht wie ein schlafender Drache umfangen hielt. Es waren nur dreißig Meter bis zu Maevas Haus. Genug, um sich vor Aufregung zu übergeben. Er würgte den Saft mit geschlossenem Mund hervor, um keinen Lärm zu machen. Ließ ihn über die Lippen zu Boden träufeln, wischte den Schweiß von der Stirn und klopfte an. Keine Reaktion. Ein zweites Mal war er dazu nicht in der Lage, er stand nur da und blickte auf die Tür. Stand nur da.
    Dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, gerade so viel, dass er Licht im Inneren sehen konnte. Und die Konturen ihres Kopfes. Die einströmende Luft ließ die Kerzen aufflackern. Steve erkannte nur Blätter und Schatten von Blättern auf ihrem changierenden Gesicht. Jeden Moment konnte sie zu etwas anderem werden. Zwischen den Trugbildern machte sich ein Glitzern bemerkbar. Wie das Funkeln eines erloschenen Sterns. Maevas Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn. Es war keine stürmische Umarmung, wie man es vermuten konnte, sondern ein bedächtiges Verschmelzen. Steve fuhr ihr in die Haare. Seine Finger glitten vom Nacken aufwärts über ihren wohlgeformten Kopf. Sie ließ es geschehen, drückte ihre Stirn für einige Sekunden an seine Brust und führte ihn schließlich an der Hand hinein. Nachdem sie weitere Kerzen angezündet und die Paraffinlampe näher gerückt hatte, nahm sie Steve gegenüber auf der Matte Platz und ließ sich seine Geschichte erzählen.
    Als er fertig war, fragte Maeva nach Cording. Die Härte, die sich plötzlich in ihre Stimme mischte, blieb Steve nicht verborgen. Als er ihr berichtete, dass Cording nach Tahiti zurückgekehrt war, dass er ihr gemeinsames Haus bewohnte und auf sie wartete, lächelte sie bitter unter ihrem wissenden Blick, den Steve von nun an häufiger zu sehen bekommen sollte. Er hatte Lust, ihr von den Reaktionen zu erzählen, die ihr Verschwinden in der Welt ausgelöst hatte, aber er spürte schnell, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt war. Er konnte ja nicht wissen, dass es den richtigen Zeitpunkt dafür nie wieder geben würde.
    Steve hatte die Nacht bei Rudolf im Haus verbracht. Als er Maeva wie verabredet kurz nach Sonnenaufgang abholen wollte, war sie bereits ausgeflogen.
    »Du musst nachsichtig mit ihr sein«, sagte Rudolf, nachdem er angeboten hatte, ihn die halbe Strecke nach Morongo Uta zu begleiten, »sie ist nicht mehr dieselbe, das sagte ich dir doch.«
    Der Pfad, den sie nahmen, erlaubte an der einen oder anderen Stelle einen umfassenden Blick auf Rapas grüne Berge, die sich nach und nach die Nebelschleier vom Gesicht rissen. Zum Vorschein kamen Hänge mit überwucherten Terrassen und Gipfel, die mit Sicherheit nicht auf der Werkbank der Natur gedrechselt worden waren. Sie ragten als geheimnisvolle Pyramiden in den sich lichtenden Himmel. Der stetige Anstieg vorbei an Hibiskus, Pandanus und Farnbäumen ging in die Beine. Steve hatte Mühe, Rudolf zu folgen, war jedoch zu feige, das zuzugeben. Also quälte er sich weiter und war nur bedingt empfänglich für die historischen Unterweisungen, die ihm sein Führer schuldig zu sein glaubte. Immerhin bekam er mit, dass auf Rapa etwa zweitausend Leute gewohnt hatten, als der erste Europäer 1791 seinen Fuß auf die Insel setzte. George Vancouver, so hieß der Mann, zählte achtundzwanzig auf die Bergrücken gesetzte Festungen, die sorgsam über die Insel verteilt waren. Wovor hatten die Menschen Angst gehabt? Rapa lag abseits allen Weltgeschehens inmitten der südpazifischen Wasserwüste! Um die Wehrdörfer waren gewaltige Gräben gezogen, die durch Umfriedungsmauern zusätzlich gesichert wurden. Für einen Augenblick glaubte Steve den Angstschweiß der Ureinwohner in den abziehenden Nebelschwaden riechen zu können. Er blieb stehen, stemmte die Arme in die Hüften und täuschte ein reges Interesse an der Entstehungsgeschichte der Terrassen vor, die links und rechts des Weges zu erahnen waren. Das verschaffte ihm Luft. Im Übrigen war es in der Tat erstaunlich, wie Hunderttausende von Basaltbrocken, die zum Aufschütten der Terrassen notwendig waren, ihren Weg aus den Tälern hierher gefunden hatten.
    »Von hier aus gehst du allein weiter«, hörte er Rudolf sagen, »wenn du dein schnelles Tempo beibehältst, könntest du in einer halben Stunde da sein …« Er grinste und machte sich davon. Steve wunderte
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