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Das Sterben in Wychwood

Das Sterben in Wychwood

Titel: Das Sterben in Wychwood
Autoren: Agatha Christie
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Gehens über verschiedene kleine Dorfangelegenheiten. Sie schritten über zwei Felder und schlugen dann einen Pfad ein, der durch ein etwas verwildertes Dickicht führte. Es war ein heißer Tag, und Bridget fand den Schatten der Bäume angenehm.
    Miss Waynflete schlug vor, sich zu setzen und auszuruhen. «Es ist heute wirklich drückend heiß, finden Sie nicht auch? Ich glaube, es liegt ein Gewitter in der Luft!»
    Bridget stimmte etwas schläfrig zu. Sie lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen an den Abhang, einige Verse gingen ihr durch den Kopf:
     
    Was gehst du in Handschuh’n durch Feld und Hag
    o fette Graue, die niemand mag?
     
    Aber das war nicht ganz richtig! Miss Waynflete war nicht fett. Sie änderte die Worte, damit sie stimmten.
     
    Was gehst du in Handschuh’n durch Feld und Hag
    o magre Graue, die niemand mag?
     
    «Sie sind sehr schläfrig, meine Liebe, nicht wahr?»
    Die Worte wurden in sanftem, alltäglichem Ton gesprochen, aber etwas in ihnen ließ Bridget plötzlich die Augen aufreißen. Miss Waynflete hatte sich zu ihr vorgebeugt, ihre Augen blickten begierig, ihre Zunge fuhr über ihre Lippen. Sie wiederholte ihre Frage:
    «Sie sind sehr schläfrig, nicht wahr?»
    Dieses Mal war die Bedeutung ihres Tones nicht misszuverstehen. Wie ein Blitz flammte es in Bridgets Hirn auf – ein Blitz des Verstehens, gefolgt von Verachtung ihrer eigenen Begriffsstutzigkeit!
    Sie hatte die Wahrheit geahnt – aber es war nicht mehr als ein leiser Argwohn gewesen. Sie hatte sich vergewissern wollen; jedoch nicht einen Augenblick hatte sie gedacht, dass etwas gegen sie unternommen werden würde. Auch meinte sie, ihren Verdacht vollkommen verborgen zu haben, und hätte sich nicht träumen lassen, in unmittelbarer Gefahr zu sein. Törichte Närrin, die sie war, dreifache Närrin!
    Und plötzlich dachte sie:
    Der Tee – es war etwas im Tee! Sie weiß nicht, dass ich ihn nicht getrunken habe. Das ist mein Glück! Ich muss Komödie spielen! Was mag es gewesen sein? Gift? Oder nur ein Schlafmittel? Offenbar erwartet sie, dass ich schläfrig werde – das ist klar.
    Sie ließ ihre Augenlider wieder herabsinken und sagte mit – wie sie hoffte natürlich wirkender – schläfriger Stimme: «Ja – schrecklich… Komisch! So schläfrig war ich überhaupt noch nie.»
    Miss Waynflete nickte leise.
    Bridget beobachtete die Ältere genau durch die beinahe geschlossenen Augenlider.
    Sie dachte: Ich bin ihr jedenfalls gewachsen! Meine Muskeln sind ziemlich zäh – sie ist eine magere, schwache alte Katze. Aber ich muss sie zum Reden bringen – das ist es – reden muss sie!
    Miss Waynflete lächelte, es war kein gutes Lächeln; es war schlau und etwas unmenschlich.
    Bridget dachte:
    Wie eine Ziege! Gott, wie sie einer Ziege gleicht! Ziegen waren immer ein Symbol des Bösen! Jetzt sehe ich, warum! Ich hatte recht – hatte recht mit dieser phantastischen Idee! Die Höll’ hat keine Furie wie ein verschmähtes Weib!… Damit fing es an…
    Sie murmelte, und diesmal hatte ihre Stimme entschieden einen besorgten Klang.
    «Ich weiß nicht, was ich habe… Mir ist so merkwürdig – so ganz eigen!»
    Miss Waynflete warf einen raschen Blick ringsum. Die Stelle lag ganz einsam. Es war zu weit vom Dorf entfernt, als dass man einen Ruf hätte hören können; auch waren keine Häuser in der Nähe. Sie begann das Paket, das sie trug, aufzumachen – das Paket, in dem alte Kleider sein sollten. Dem schien auch so zu sein; als sie das Papier auseinander bog, kam ein weiches, wollenes Kleidungsstück zum Vorschein. Doch noch immer kramten die behandschuhten Hände.
    «Was gehst du in Handschuh’n durch Feld und Hag?» Ja – warum? Warum Handschuhe?
    Natürlich! Natürlich! Das Ganze war so wundervoll geplant! Die Hülle fiel zur Seite. Langsam zog Miss Waynflete das Messer hervor, wobei sie sehr darauf achtete, die Fingerspuren nicht zu verwischen, die schon darauf waren – da, wo die kurzen, dicken Finger von Lord Whitfield es früher am Tag im Wohnzimmer von Ashe Manor gehalten hatten.
    Das maurische Messer mit der scharfen Klinge.
    Bridget fühlte eine leichte Übelkeit. Sie musste Zeit gewinnen – ja, und sie musste die Frau zum Reden bringen – diese magere, graue Frau, die niemand liebte. Es durfte eigentlich nicht schwer sein, denn sie musste ja das Bedürfnis haben zu reden, ein starkes Bedürfnis – und der einzige Mensch, mit dem sie reden konnte, war jemand wie Bridget – jemand, der dann für immer verstummen
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