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Das Sterben in Wychwood

Das Sterben in Wychwood

Titel: Das Sterben in Wychwood
Autoren: Agatha Christie
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lebhaften kleinen Jungen von drei Jahren. Luke ging rasch weiter. Die Tür des nächsten Abteils war offen, eine ältliche Dame saß darin. Sie erinnerte Luke ein wenig an eine seiner Tanten. Tante Mildred war entschieden eine gute Tante gewesen. Luke trat ein und setzte sich.
    Als der Zug endlich abfuhr, entfaltete er seine Zeitung und begann zu lesen.
    Er erwartete nicht, lange ungestört zu bleiben. Da er ein Mann mit vielen Tanten war, hätte er wetten können, dass die sympathische alte Dame in der Ecke nicht beabsichtigte, die Reise nach London schweigend zurückzulegen.
    Er hatte recht – ein Fenster, das nicht parieren wollte, ein fallen gelassener Regenschirm, und schon erzählte sie ihm, was für ein guter Zug dies war.
    «Nur eine Stunde und zehn Minuten. Das ist wirklich sehr gut, wissen Sie. Viel besser als der Frühzug, der braucht eine Stunde und vierzig Minuten.»
    Sie fuhr fort:
    «Natürlich fährt jeder mit dem Frühzug. Ich wollte auch heute früh fahren, aber Wonky Pooh war plötzlich verschwunden – das ist mein Kater, ein wundervoller Angora, nur hat er in letzter Zeit ein wehes Ohr gehabt –, und natürlich konnte ich nicht von zu Hause fort, ehe er gefunden war!»
    Luke murmelte:
    «Natürlich nicht», und senkte die Augen ostentativ auf seine Zeitung. Doch das nützte nichts.
    «Also machte ich aus der Not eine Tugend und nahm den Nachmittagszug, und irgendwie ist er ja auch viel angenehmer, weil er meistens nicht so voll ist. Vor allem wenn man Erster fährt. Das leiste ich mir ja gewöhnlich nicht, ich würde das als Verschwendung betrachten, bei den Steuern und wo alles so teuer ist, aber ich war so aufgeregt – denn wissen Sie, ich fahre in einer so wichtigen Angelegenheit nach London, und ich wollte mir genau überlegen, was ich sagen würde – in aller Ruhe, wissen Sie –.» Luke unterdrückte ein Lächeln. «Und wenn man Bekannte auf der Reise trifft, da kann man doch nicht unfreundlich sein – also dachte ich, leiste ich mir mal was!
    Natürlich», fuhr sie mit einem raschen Blick auf Lukes gebräuntes Gesicht fort, «Offiziere auf Urlaub müssen Erster fahren, das weiß ich.»
    Luke strich vor dem neugierigen Blick aus einem lebhaften Augenpaar sofort die Segel. Es wäre doch nur eine Frage der Zeit, das wusste er.
    «Ich bin nicht Soldat», sagte er.
    «Oh, verzeihen Sie – ich dachte nur – Sie sind so braun – ich dachte, Sie kommen auf Urlaub aus den Kolonien.»
    «Ich komme aus den Kolonien», bestätigte Luke. «Aber nicht auf Urlaub.» Und um weiteren Fragen zuvorzukommen, sagte er: «Ich bin bei der Polizei.»
    «Bei der Polizei! Ach, das ist wirklich sehr interessant. Ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass Sie gerade in diesem Abteil fahren. Denn wissen Sie, die Angelegenheit, wegen der ich nach London fahre… ich will zu Scotland Yard.»
    «Wirklich?» sagte Luke.
    Irgendwie amüsierte er sich. Er hatte Tante Mildred sehr gern gehabt und erinnerte sich, wie sie einmal zur rechten Zeit mit einem Fünfer ausgeholfen hatte. Er empfand auch so etwas Anheimelndes in der Nähe von alten Damen wie dieser hier und seiner Tante Mildred. Sie gehörten zu den Dingen, die man sehr hoch schätzte, wenn man sie nicht hatte und sich auf der anderen Seite des Globus befand. (Und die einen sehr langweilten, wenn man sie in stärkerem Maße genoss, jedoch er war, wie gesagt, erst seit ein paar Stunden wieder in England.)
    Die alte Dame fuhr zufrieden fort:
    «Ja, ich wollte heute früh fahren – und dann kam, wie gesagt, meine Sorge um Wonky Pooh dazwischen. Aber Sie glauben nicht, dass es zu spät sein wird, wie? Ich meine, in Scotland Yard gibt es doch keine festgelegten Dienststunden?»
    «Ich glaube nicht, dass sie um vier Uhr schließen», beruhigte Luke sie.
    «Nein, natürlich nicht, das können sie ja auch gar nicht. Ich meine, es könnte doch jeden Augenblick ein schweres Verbrechen angezeigt werden, nicht wahr?»
    «Ganz richtig», nickte Luke.
    «Ich denke immer, es ist am besten, gleich an die richtige Stelle zu gehen», sagte sie endlich. «John Reed – das ist unser Polizist in Wychwood – ist ja ein ganz netter Mensch, sehr artig und freundlich, aber ich habe das Gefühl, er wäre doch nicht der Richtige, wenn es sich um etwas wirklich Ernsthaftes handelt. Er ist gewöhnt, mit Leuten fertig zu werden, die zuviel getrunken haben oder die die Geschwindigkeitsgrenze überschreiten, oder vielleicht auch mit Einbrechern. Aber ich glaube nicht – ich bin ganz sicher
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