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Das Sterben in Wychwood

Das Sterben in Wychwood

Titel: Das Sterben in Wychwood
Autoren: Agatha Christie
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Eigentlich eine liebe alte Dame.

2
     
    J immy Lorrimer war einer von Lukes ältesten Freunden. Es war selbstverständlich, dass er bei ihm wohnte, wenn er nach London kam. Es war Jimmy, mit dem er am Abend seiner Ankunft ausgiebig feierte, es war Jimmys Kaffee, den er mit schmerzendem Kopf am nächsten Morgen trank, und es war Jimmys Stimme, die unbeantwortet blieb, während sein Gast eine kurze Notiz im Morgenblatt zweimal las.
    «Verzeih, Jimmy», sagte er dann, mit einem Ruck in die Gegenwart zurückkehrend.
    «In was warst du so vertieft – in die politische Lage?» Luke grinste.
    «Keine Spur. Nein, es ist merkwürdig – eine alte Dame, mit der ich gestern im Zugabteil saß, ist überfahren worden.»
    «Wieso weißt du, dass sie es ist?»
    «Es kann natürlich eine andere sein. Aber der Name ist der gleiche – Pinkerton –, und sie wurde von einem Auto getötet, als sie Whitehall überquerte. Das Auto fuhr weiter.»
    «Garstige Sache», sagte Jimmy.
    «Ja, arme, alte Seele! Es tut mir leid; sie erinnerte mich so an meine Tante Mildred.»
    Es war über eine Woche später, als Luke beim Überfliegen der ersten Seite der Times einen überraschten Ausruf tat. «Ah, da hol mich doch der Teufel!»
    Jimmy Lorrimer blickte auf.
    «Was ist los?»
    Luke antwortete nicht; er starrte auf einen Namen. Jimmy wiederholte seine Frage.
    Luke hob den Kopf und sah seinen Freund an. Sein Gesichtsausdruck war so merkwürdig, dass Jimmy erschrak. «Was ist denn los, Luke? Du schaust ja aus, als hättest du einen Geist gesehen.»
    Ein paar Minuten antwortete der andere nicht. Er ließ die Zeitung fallen, schritt zum Fenster und wieder zurück. Jimmy beobachtete ihn mit wachsendem Staunen.
    Luke ließ sich in einen Sessel sinken und beugte sich vor. «Jimmy, alter Junge, erinnerst du dich, dass ich – an meinem ersten Tag hier – eine alte Dame erwähnte, mit der ich im Zug nach London gefahren bin?»
    «Die dich an deine Tante Mildred erinnerte? Und dann von einem Auto überfahren wurde?»
    «Genau die. Hör mal zu, Jimmy. Die alte Dame erzählte eine lange Geschichte, dass sie zu Scotland Yard gehen wolle, um über eine Menge Morde zu berichten. In ihrem Ort sei ein Mörder los – darauf lief es hinaus; und er hat rasche Arbeit geleistet.»
    «Du hast mir nicht erzählt, dass sie übergeschnappt war», bemerkte Jimmy trocken.
    «Das habe ich auch nicht gedacht.»
    «Na, hör mal, alter Junge, Mord en gros – »
    Luke unterbrach ihn ungeduldig:
    «Ich hielt sie nicht für verrückt. Ich dachte, sie ließe ihrer Phantasie nur etwas zu freien Lauf, wie das bei alten Damen manchmal vorkommt.»
    «Nun ja, das könnte ja auch gewesen sein. Aber wahrscheinlich war doch eine Schraube locker bei ihr, denke ich.»
    «Es handelt sich nicht darum, was du denkst, Jimmy; hör mir jetzt lieber zu!»
    «Ja, schon gut – weiter!»
    «Sie wurde sehr ausführlich, erwähnte ein oder zwei Opfer mit Namen und erklärte dann, was sie am meisten beunruhige, sei die Tatsache, dass sie wisse, wer das nächste Opfer sein werde.»
    «Ja?» sagte Jimmy aufmunternd.
    «Ich habe mir den Namen gemerkt – Dr. Humbleby. Die alte Dame sagte, Dr. Humbleby würde der nächste sein, und sie war sehr unglücklich darüber, weil er ‹ein so guter Mensch› sei.»
    «Nun, und?» sagte Jimmy.
    «Schau dir das an.»
    Luke reichte ihm die Zeitung und wies auf eine Notiz unter Todesfällen.
     
    «Humbleby. – Am 13. Mai starb plötzlich auf seinem Woh n sitz Sandgate, Wychwood under Ashe, John Edward Humbleby, geliebter Gatte von Jessie Rose Humbleby. Begräbnis Freitag. Bitte keine Blumen. »
     
    «Siehst du, Jimmy, Name und Ort stimmen, und Doktor ist er auch. Was hältst du davon?»
    «Ich vermute, es ist eben ein verflucht seltsames Zusammentreffen.»
    «Glaubst du, Jimmy? Wirklich? Ist das alles?»
    Luke begann wieder auf und ab zu gehen.
    «Was könnte es sonst sein?» fragte Jimmy.
    Luke wandte sich plötzlich um.
    «Und wie, wenn jedes Wort, das das gute, alte Schaf sagte, wahr wäre? Wie, wenn die phantastische Geschichte einfach die reine, nackte Wahrheit wäre?»
    «Ach, geh doch, alter Junge! Das wäre wirklich zu stark! Solche Dinge passieren einfach nicht.»
    «Und wie war es im Fall Abercrombie? Soll er nicht eine ganze Menge Leute umgebracht haben?»
    «Mindestens fünfzehn», räumte Jimmy ein. «Alle mit Arsen!»
    «Richtig, also passieren solche Dinge doch!»
    «Ja, aber nicht oft.»
    «Woher weißt du das? Sie passieren vielleicht viel
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