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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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gehen. Sie hatte es auch bei früheren Reisen nie getan, aber diesmal entschloss sie sich immerhin, in einem Geschäft in der Stadt einen Badeanzug zu kaufen. Ich glaube nicht, dass sie sich schämte, ihre Figur zu zeigen, es war wohl eher so, dass sie sich in einem Schwimmbecken für reiche Leute fehl am Platz fühlte. Ich hätte sie gern in der Sonne im Badeanzug gesehen. Es muss das alte Verlangen sein, die Formen der Welt zu bewundern, das immer noch stark in mir ist, auch wenn ich sie nur noch in Wellen und ziemlich verschwommen sehe. Als wir nach Girardot kamen, sahen wir von der Brücke aus, dass der Magdalena kaum Wasser führte. Das tiefe, breite Flussbett mit seinen auf dem Sand festsitzenden Booten und Kähnen erinnerte mich an Gemälde aus wer weiß welchem Jahrhundert, auf denen Flusslandschaften oder Meeresbuchten, manchmal mit Burgen oder Burgruinen, aus einem Traum oder Albtraum geholt zu sein scheinen. Da meine Augen aber so schlecht sind, können die Bilder, die ich sehe, genauso gut von innen wie von außen kommen, und manchmal weiß ich nicht, ob ich tatsächlich sehe, was ich sehe, oder ob ich es erschaffe, indem ich es mir einbilde oder aus der Erinnerung hole …
    Ich war dabei zu erzählen, dass Sara gegangen war, um mit ihrem Schmerz allein zu sein. Auch mich hatte der Schmerz, während ich vor meinem Ölbild saß und es anschaute, ohne es zu sehen, wieder mit all seiner Macht erfasst, und die Flammen brannten wieder in meinem Innern, manchmal mehr auf der einen Seite, manchmal mehr auf der anderen, und nahmen mir die Luft weg. Ich schluckte noch ein Clonazepam, das aber keine Wirkung zeigte. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass Jacobo wieder nach Hause käme, auch wenn noch Jahre des Leidens auf ihn warteten. Ich ging ins Schlafzimmer und legte mich aufs Bett, auf Saras Seite. Ich schloss die Augen, um die Flammen zu betrachten. Nach einer Weile kam Sara und legte sich zu mir, schmiegte sich von hinten an mich wie eine Wolke. Sie legte ihre Hand auf meine: zwei Hände wie ein Schneckenhaus.
    Während die Sekunden vergingen, fand ich in die Wirklichkeit zurück. Saras Hand war am Anfang kühl gewesen und wurde langsam wärmer. Ich spürte, dass mein Herz nicht normal schlug: Es gab ein lautes Klopfen von sich, mit unrhythmischen Schlägen, die ich im ganzen Körper fühlte. »Ich darf jetzt nicht sterben«, dachte ich, »sie brauchen mich noch.« Ich zwang mich, tief und regelmäßig zu atmen, bis das Klopfen und die Schläge aufhörten. Aber nicht die Flammen. »Ich darf doch nicht jedes Mal in Panik geraten, wenn mich so ein Anfall überkommt, und schon gar nicht jetzt«, dachte ich und bekam mich wieder in den Griff. Ich dachte an den Iren, der heulende Bischöfe gemalt hatte. Die Zeit verrann sehr langsam, fast war es, als liefe sie rückwärts – alles nur, um uns noch stärker zu zermalmen und von den Flammen verzehren zu lassen. In der Wohnung breitete sich wieder die heimtückische Stille aus, auch wenn sich Debrah und James in der Küche unterhielten und Arturo in seinem Zimmer an der Gitarre zupfte; auch wenn wie immer die Flaschen der Lower East Side aufs Pflaster krachten und ab und zu Schreie, wie aus einer anderen Welt, heraufdrangen …
    »Hey, you! Fucking bitch!«, schrie jemand.
    Letzte Woche habe ich mit Debrah und James telefoniert. Sie haben einen Platz in einem Altersheim auf Long Island bekommen, mit Golfplatz, Swimmingpool und Bowling. Sie beschrieben das Ganze, als sei es das Paradies auf Erden, und je mehr sie mir vorschwärmten von Tennisplätzen, Wellnessoasen und rund um die Uhr diensthabenden Krankenschwestern und Ärzten, umso abstoßender erschien es mir. Natürlich gratulierte ich ihnen zu ihrem Glück, obwohl ich mir die Bemerkung nicht verkneifen konnte, für mich sei das nichts. Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment lang still, und es tat mir leid, das gesagt zu haben. Ich fragte James, wann sie einzögen, und er sagte, in sechs Wochen würde eines der Miniapartments frei. James’ Stimme ist sehr voll und warm, und mit dem Alter ist sie noch voller und wärmer geworden. Noch musikalischer vielleicht – als wäre sie nicht schon immer sehr musikalisch gewesen. Dagegen ist Debrahs Stimme etwas schrill und vorlaut geworden, das heißt, sie hat genau die Stimme, die zu einer kleinen, blitzgescheiten Alten passt, die alles genau wissen will.

vierundzwanzig
    Am Nachmittag entschloss sich Ángela, ins Schwimmbecken zu gehen. Obwohl ich sie
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