Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
geöffnete Tür in meinen Schädel sprang, dass ich erstarrte. Ein barbarisches Symbol, mit der Kante einer eisernen Handfessel in die dunkle Wand der Gefängniszelle gekratzt wie eine helle Narbe auf ädrigem, braunem Fleisch: fünf Kreise und ein Trigramm, in dessen Zentrum etwas Geronnenes klebte und Haarbüschel dazwischen. Ich spürte, wie mir schwindlig wurde, wie mir damals schwindlig geworden war. Und heute wie damals dachte ich ganz unpassend: Fall jetzt nur nicht um vor all den Leuten. Ich hörte eine Stimme, und ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, aber das war nicht heute, das war damals, und Gregor von Weidens ruhige, brüchige Stimme sagte:
    Du kannst nichts dafür, Peter. Er hat sich selbst gerichtet.
    War es wirklich so erstaunlich, dass ich die Erinnerung verdrängt hatte? Ich spürte das schale Gefühl des Versagens wieder und erinnerte mich an den Eindruck, etwas ganz anderes losgelassen zu haben, als ich beabsichtigt hatte.
    Der Ruß auf dem Fußboden stellte ein Symbol dar. Einen Ring. Ein Dreieck. Weitere Ringe. Es war so grob geformt, dass es schien, als sei es aus dem Wirken unbekannter Kräfte entstanden. Es war ein magischer Kreis. Es waren fünf magische Kreise, die das Dreieck überlagerten, und der innere war das Tor, durch das einem Dämon Zutritt in unsere Welt gewährt wird.
     
    Wir standen aufgereiht an einem der Schreibpulte, während die Wachen darauf warteten, dass der Burggraf die Kammer wieder verließ. Ich konnte nicht sehen, was er darin tat, aber ich vermutete, dass er sein Werk vollendete und die Zeichnung auf dem Boden vollends zerstörte. Die Lähmung, die die Schreiber, die Waibel und selbst den Bäcker befallen hatte, ließ seine Arbeit sinnvoll erscheinen – wenn nur die Hälfte der AugsburgerBürger so reagierte wie die Männer hier, würden die Umstände des Mordes an Ludwig Stinglhammer die Stadt in Angst und Schrecken versetzen, wie es sonst nur die Pest vermochte. Die dumpfe Stimmung in der Schankstube am Vorabend wies ebenfalls darauf hin.
    In meinem Mund war noch immer der schale Geschmack meiner eigenen Galle. Ich war wütend darüber, mit welcher Heftigkeit die Geschichte von damals mich überrollt hatte – und wie hilflos ich mich gefühlt hatte, dreiundzwanzig Jahre später und doch keinen Tag davon entfernt. Ich war wütend darüber, wie viele Kammern es in meiner Seele gab, die ich verschlossen geglaubt hatte und die nun eingetreten waren, so wie ich die Tür zur Arbeitsstube des Ermordeten eingetreten hatte.
    Schließlich kam der Burggraf heraus und zog die schief in ihren Angeln hängende Tür zu. Sein Gesicht hatte die normale Färbung wieder angenommen, seine Augen waren zusammengekniffen. Er räusperte sich.
    »In welcher Reihenfolge sind die Bittsteller hier aufgetreten?«, fragte er und bekam seine Stimme erst während des Sprechens wieder vollends in die Gewalt.
    Der stotternde Schreiber blickte sich um und entdeckte, was bisher nur ich wusste: Wir waren zwei Mann zu wenig. Seine Augen glänzten wie im Fieber ob dieser neuerlichen Entdeckung, und sein Mund bewegte sich, ohne dass ein Wort über seine Lippen gekommen wäre.
    »Mann«, stöhnte der Wachführer, »mach das Maul auf. Der Kerl hat nicht nur einen Mühlstein an der Zunge hängen, er ist auch sonst ein vollkommener Esel.«
    Der Schreiber zuckte und war nun völlig außerstande, sich auszudrücken. Der Wachführer machte Anstalten, ihn am Kragen zu packen. Ich beschloss, meinen Ärger auf mich selbst an dem groben Kerl auszulassen.
    »Wer ist wohl der größere Esel«, sagte ich laut, »der, der es zum Schreiber in einem der mächtigsten Häuser Augsburgs gebracht hat, oder der, dem zwei Zeugen davongelaufen sind, ohne dass er es bemerkt hätte?«
    Der Wachführer wirbelte herum und starrte mich an. Sein Mund öffnete sich, doch in seiner Fassungslosigkeit war seine Zunge ebenso gefesselt wie die des Schreibers. Er brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, dass ich Recht hatte. Ich gab den Blick des Burggrafen, der überrascht auf mich gefallen war, zurück. Da ich mit dem Rücken gegen das hell erleuchtete Fenster stand, war mein Gesicht ein dunkler Fleck für ihn; doch seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er jetzt zum ersten Mal von jemandem außer seinen Männern, den Schreibern und dem Toten Notiz nahm – von mir. Er tat einen Schritt auf mich zu und stierte mich an, und plötzlich weiteten sich seine Augen.
    »Guten Morgen, Gregor«, sagte ich. »Wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher