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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall
Autoren: Tanja Kinkel
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Nonne zurückgreifen, doch in der damaligen Zeit war Bildung für eine Frau außerhalb von Klostermauern kaum zu erlangen. Die große Ausnahme war die Stadt Salerno im Süden des heutigen Italiens, wo es seit dem Jahr 1057 die erste und lange Zeit einzige universitätsähnliche Einrichtung für Medizin im Abendland gab, an der Männer und Frauen zu Ärzten ausgebildet wurden (in Deutschland sollte erst 1754 die erste Frau zum Studium zugelassen werden, was eine Ausnahme war; in ganz Europa dauerte es bis weit ins 19. Jahrhundert, bevor Frauen dieses Recht erhielten). Das inspirierte mich zu meiner Hauptfigur Judith aus Köln, der auch wegen ihrer Ausbildung in Salerno vieles gelingt, was für eine Frau in der damaligen Zeit sonst unmöglich war.
    Bei der Recherche über medizinische Praktiken stieß ich übrigens auf vieles, was mich lachen oder schaudern ließ. Als Verhütungsmittel galt beispielsweise sieben Mal niesen, das Trinken von Schafurin, Habicht- oder Taubenmist, das Einführen von Kohl- und Weidenblättern bei der Frau oder das Auftragen von Bleiweiß auf den Penis. Auch brennenden Eselshufen wurde eine solche Bedeutung beigemessen – kein Wunder, dass bis zu zwanzig Schwangerschaften für eine Frau keine Seltenheit waren.
    Wer sich mit dem Mittelalter und dessen Gebräuchen beschäftigt, ist oft verblüfft, dass kaum jemand Wasser trank; dieses war häufig verschmutzt und hatte nicht zu Unrecht den Ruf, für Krankheiten zu sorgen. Stattdessen wich jeder, der es sich irgendwie leisten konnte, auf Most oder Wein aus; selbst Medizin wurde damit eingenommen. So kamen häufig mehr als zwei Liter alkoholhaltige Getränke pro Tag auf jede Person, von Kindesbeinen an, was manche sonst kaum nachvollziehbaren Handlungsweisen der Menschen damals erklärbar macht.

    Nackte Tatsachen
    In Braunschweig begegnet Judith in meinem Roman – für diese Epoche nahezu unvermeidlich – einer besonderen Frau, die sie lehrt, ihre Weiblichkeit zu entdecken und dafür einige der erzwungenen Moralvorstellungen für Frauen über Bord zu werfen; außerdem besucht sie dort, wenn auch nicht ganz freiwillig, ein Badehaus. Diese gab es damals selbst in Dörfern und waren aus den unterschiedlichsten Gründen sehr beliebt; als Treffpunkt mit Freunden und Nachbarn, zu dem man seine Verpflegung mitbringen durfte, um Spielleute zu hören, sich pflegen und behandeln zu lassen, und, und, und! Man darf nicht vergessen, welche körperfeindlichen Moralvorstellungen damals von der Kirche gepredigt wurden – doch für ein paar Pfennige konnte der Bader beim Gemeinderat die Erlaubnis bekommen, Männer und Frauen gemeinsam baden zu lassen, was, gerade in Städten, der Prostitution sehr förderlich war. (Nebenbei bemerkt: Obwohl man im Badehaus nackt oder maximal mit einem Tuch am Körper herumlief, hatte man auf dem Kopf Hut oder Haube zu tragen.)
    Natürlich ging es so nicht in jedem Badehaus zu: Man ließ sich den Schmutz abreiben und gönnte sich ein Schwitzbad; Wasserbäder waren für die meisten Besucher zu teuer, es sei denn, sie beteten für das Seelenheil eines Stifters, der ihre Badekosten dann übernahm. Außerdem konnte man in einem guten Badehaus Zähne ziehen, sich schröpfen und zur Ader lassen, aber auch entspannte Stunden mit Musik und gutem Essen verbringen. Es galt ein strenges Schimpf- und Schlagverbot. Wer dagegen verstieß, wurde oft hart bestraft – sogar durch das Abschlagen der rechten Hand. Wen das schockiert, möge sich bewusst machen, dass Brutalität die Menschen im Mittelalter Tag für Tag begleitete. Ausnahmsweise machte diese Form auch vor den Fürsten nicht halt. Einem König, der seinem Gegner unterlag, konnte es durchaus geschehen, dass ihm die eigene Krone glühend heiß aufs Haupt genagelt wurde, bevor man ihn blendete und kastrierte.

    Juden im Mittelalter
    Schon als Frau allein hätte meine Romanheldin Judith im Mittelalter kaum Rechte gehabt, nicht einmal auf ihren eigenen Körper; ich wollte ihr aber weitere Steine in den Weg legen, um sie für meine Leser noch interessanter zu gestalten. Das war einer der Gründe, warum ich aus ihr eine Jüdin und eine gebildete Frau machen musste, obwohl man solche wie folgt ansah. Originalzitat aus meinem Buch: »Ein gelehrtes Weib ist wie ein Hund, der auf zwei Beinen läuft. Er kann es nicht besonders gut, doch man ist erstaunt und bewundert, dass er es überhaupt kann.«
    Der Antijudaismus – den Begriff Antisemitismus verwendet man erst seit dem 19. Jahrhundert –
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