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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall
Autoren: Tanja Kinkel
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Mal rückwärtshüpfen galt als Verhütungsmittel. Ein Thronanwärter aß in einer belagerten Stadt tatsächlich das Festmahl, was für seinen Rivalen von dessen eigenen Köchen dort zubereitet worden war … Ich könnte die Liste noch sehr weit fortsetzen, aber das würde nicht nur den Rahmen dieses Interviews sprengen, das hätte auch meinen Roman um viele hundert Seiten länger gemacht.

    Das Taktieren der Fürsten in Ihrem Roman wirkt manchmal geradezu modern, und man hat das Gefühl, das alles könne so auch in unsere Zeit übertragen werden. Was meinen Sie dazu?
    Tanja Kinkel: Das Geschachere um Stimmen, Pfründe, Privilegien und Güter erinnerte mich ungeheuer an unsere Politiker im Wahlkampf und die Geschenke davor und danach. So mancher Provinzfürst – Entschuldigung, Ministerpräsident – unserer Zeit hätte damals ohne weiteres mitmischen können. Viel geändert hat sich wirklich nicht.

    Was können wir also Ihrer Meinung nach heute aus den Umständen der damaligen Zeit lernen?
    Tanja Kinkel: Das lässt sich tatsächlich in einem Satz zusammenfassen: »Wer die Nachrichten kontrolliert und beeinflussen kann, hat die Macht.« Auch Geschichte wird fast immer nur von den Gewinnern geschrieben. Zum Glück ist das heute schwerer als damals, aber leider immer noch Realität. Objektiver Journalismus ist, aus rein wirtschaftlichen Gründen, auf Dauer auch heute kaum möglich. So bleibt uns nur Nachdenken, um sich aus vielen Quellen eine eigene Meinung zu bilden. Das, was auch für ein glaubwürdiges Buch oberstes Gebot ist.

    Lassen Sie mich hier noch einmal einhaken und Ihnen eine provokante Frage stellen: Walther beeinflusst in Ihrem Roman sehr geschickt den Lauf der Dinge, weil er in der Lage ist, seine Zuhörer zu manipulieren. Würde Walther im 21. Jahrhundert leben, müsste er dann für die Bild-Zeitung arbeiten?
    Tanja Kinkel: Ich glaube eher, Walther hätte eine eigene Zeitung gegründet. Er hätte sich nie damit abgefunden, seine Zeilen vom Chefredakteur verändert zu sehen.

    Sie sind selbst gläubige Christin – trotzdem kommt der Klerus, allen voran der Papst, in Ihrem Roman alles andere als gut weg. Spiegelt dies auch Ihre Meinung zur Kirche von heute wider?
    Tanja Kinkel: Es gibt durchaus auch sympathische Kleriker in meinem Roman, zum Beispiel Wolfger von Erla, den Bischof von Passau und einer von Walthers Gönnern; ich mag keine SchwarzWeiß-Malerei. Aber Innozenz III. war, da sind sich die Historiker einig, der mächtigste Papst des Mittelalters. Eine solche Position erringt man nicht durch Menschenfreundlichkeit. Überdies war er selbst im zeitgenössischen Rahmen und verglichen mit anderen Theologen seiner Epoche ungeheuer körperfeindlich. Für jemanden wie Walther spielte es keine Rolle, dass Innozenz auch langfristig positive Entscheidungen traf – zum Beispiel Franz von Assisi nicht als Ketzer zu bannen, was sehr leicht hätte geschehen können, sondern als Teil der Kirche zu bestätigen; das dürfte die kirchengeschichtlich bedeutendste Tat Innozenz’ gewesen sein –; für Walther zählten nur die unmittelbaren Auswirkungen, welche die Machtpolitik des Papstes auf die Menschen im Reich hatte und wie diese darunter litten. Mit der Entscheidung, meine weibliche Hauptfigur zu einer Jüdin zu machen, galt es natürlich auch, den von der Kirche damals auch zu verantwortenden fatalen und allgegenwärtigen Antijudaismus zu zeigen, der jedes Mal, wenn päpstlicherseits wieder zum Kreuzzug aufgerufen wurde, einen weiteren Schub erhielt.
    Was die heutige Kirche betrifft, so sehe ich auch dort vieles kritisch, neben sehr viel Erreichtem, und es bleibt noch viel zu tun. Aber das sind heutige Umstände, heutige Fehlentscheidungen, heutige Erfolge. Jede Epoche muss immer und für alle Bereiche in ihrem eigenen Licht betrachtet werden.

    Auf den wohl berühmtesten Satz Walthers – »Ich hân mîn lêhen/Ich habe mein Lehen« – wird man in Ihrem Roman vergeblich warten …
    Tanja Kinkel: Es ist nicht nur der bekannteste Ausspruch Walthers, dieser Satz erklärt auch die Bedeutung dieses Mannes. Während andere Sänger vielleicht Nahrung, Kleidung, Silber, ein Pferd oder einen warmen Platz bekamen, erhielt Walther sein Lehen, was vorher noch nie da gewesen war. Dies geschah mutmaßlich 1217. Mein Roman endet aber 1212, da sowohl die persönliche Entwicklung von Walther und Judith als auch die politische Entwicklung an genau dem Punkt angekommen ist, zu dem ich sie führen konnte und wollte, ohne
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