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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall
Autoren: Tanja Kinkel
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Nachsicht zugeschrieben; Gnadenlosigkeit traf es schon eher. Richard gefiel der Gedanke zweifellos, dass der fromme Leopold seit Jahr und Tag weder an der Messe teilnehmen noch die Beichte ablegen durfte, dass er und alle, die ihm dienten, in den Augen der Kirche nicht besser dastanden als gottlose Ketzer. Der Herzog hatte Gesandtschaft auf Gesandtschaft nach Rom geschickt, um daran etwas zu ändern, aber ohne Erfolg. Reinmar fröstelte. Auch um seine eigene Seele stand es nicht zum Besten, wenn er mit einem Gebannten das Brot teilte, doch er hätte seinem Gönner und Waffenbruder nie deswegen den Rücken gekehrt.
    »Warum schickt der Herzog nicht einen Teil des Silbers nach Rom?«, fragte Walther, als wieder ein abschlägiger Bescheid eintraf und der schlechtgelaunte Leopold deswegen umgehend unterhalten und auf neue Gedanken gebracht werden wollte. »Als Buße, versteht sich. Wer weiß, dann würde der Heilige Vater vielleicht …«
    »Du wirst noch Glück haben, wenn deiner eigenen Seele die Flammen der Hölle erspart bleiben. Wenn du unbedingt Witze über den Papst reißen musst, mein Sohn, dann tue es, um dem armen Herzog die Zeit zu vertreiben, nicht, um mir meinen Seelenfrieden zu rauben.«
    »Aber Herr Reinmar«, sagte der vorwitzige Kerl, »Ihr predigt mir doch tagein, tagaus, dass ein glücklicher Dichter ein schlechter Dichter sei und nur das Unglück unsere Muse zum Singen bringe. Wenn ich Euch wirklich den Seelenfrieden raube, dann solltet Ihr mir eigentlich dafür danken.« So war er, der junge Springinsfeld von der Vogelweide, statt glücklich darüber zu sein, dass ihn Reinmar als Schüler akzeptiert hatte.
    Nun war es nicht so, dass es Walther an Fleiß oder Auffassungsgabe mangelte, im Gegenteil. Man brauchte ihm nicht zweimal zu erklären, was ein Werbelied war, ein Frauenlied, ein Tagelied und ein Preislied, warum Aufgesang und Abgesang nötig waren und was ein Wechsellied von einem Gesprächslied unterschied. Er übte Tag und Nacht und steckte seine lange Nase in alle Abschriften der alten Lieder, die Reinmar besaß. Das Einzige, was er so eifrig wie die Kunst des Minnesangs studierte, war zunächst jene Wirtin gewesen, von der er Reinmar in den Ohren gelegen hatte, nur um dann seine sogenannten Studien auf die Frauen bei Hofe auszudehnen. Leider war in Walther – der immer und überall schnell eine eigene Meinung anzubieten hatte – damals die Idee erwacht, dass man doch die Freuden der Liebe ebenso besingen könne wie deren Entbehrung.
    »Unsinn. Das mag etwas für die Bauern sein, aber nicht für den Hof«, sagte Reinmar verächtlich. »Wenn zwei sich im Stroh wälzen, wo liegt darin die Poesie? Wo das christliche Ideal? Wir leben in harten Zeiten, Walther. Da ist es die Aufgabe des Dichters und seiner Kunst, die Gedanken auf Schöneres, Hehreres zu richten. Nicht das Leben, wie es ist, sondern das Leben, wie es sein soll. Was gibt es Edleres, als einer Dame zu dienen, ohne die Hoffnung, je wiedergeliebt zu werden? Liebe, die eigene Vorteile erwartet, ist selbstsüchtig. Die aber, die nur gibt, nie nimmt, ist das Beste, was ein christlicher Ritter empfinden kann. Daher ist sie auch der Dichtkunst einzig würdiges Thema.«
    »Herr Reinmar, mit Verlaub, wann hat Euch das letzte Mal eine Frau mehr als ein Lächeln geschenkt? Ihr habt Euch schon viel zu lange in einer Burg versteckt, anstatt am wirklichen Leben teilzunehmen. Es ist hart, und es gibt nicht immer genug zu essen auf den Bauernhöfen, weil sie das meiste abliefern müssen. Aber diese Menschen leben, Reinmar, sie lieben, sie lachen und singen miteinander, sie sind da füreinander. Sie werden mit Tieren groß, die balzen und schnäbeln, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Deswegen mag es auf den Bauernhöfen alltäglich sein, im Stroh zu liegen, aber was ist falsch daran? Dort wollen es beide, er sie und sie ihn, und daraus erwächst Liebe, welche die Paare verbindet – nicht aus Verzicht!«
    »Deswegen bist du jetzt auch dort und nicht hier«, hatte Reinmar spöttisch erwidert, »weil es auf dem Land so herrlich ist? Der Walther, den ich vor mir sehe und der so eifrig darum bat, bei Hof aufgenommen zu werden, das muss ein Geist sein.«
    »Nein, nur ein Mann, der beides kennt und von Frauen mehr als nur angelächelt wird, im Gegensatz zu Euch.«
    So ist die Jugend, dachte Reinmar, als er den Herzog auf seinem Ausritt nicht nur begleitete, um frische Luft zu schnappen, sondern auch, um seinem Schüler zu entkommen, Walther und der
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