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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
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Brief noch um den Jüngstgeborenen Albrecht, der zwei Monate alt war, und um den aufsässigen Kronprinzen, der sich weiter erfolgreich dagegen wehrte, seinen Hofmeister Delbrück verlieren zu müssen.
    »Er weint und schreit, liegt scheinbar krank im Bett und ist doch nur schlau. Friewi fällt darauf herein und zieht die Entlassung zurück. Ich würde dem Kerl manchmal am liebsten eins hinter die Löffel geben!«
    Sie meinte den Sohn, glaube ich, doch ganz sicher bin ich mir nicht. Jérôme und ich hatten jedoch unsere starken Zweifel, dass das hohe Paar wirklich abreisen würde. Seit einem Jahr war davon die Rede und es hatte sich noch keine Ankündigung als wahr erwiesen. Warum also dieser glauben?
    Wir trafen am 23. Dezember vormittags in Berlin ein und sahen mit Erstaunen, dass die Vorzeichen diesmal wirklich günstig standen: Luisens Bruder, der Erbprinz Georg von Mecklenburg-Strelitz, und Gräfin Karoline von Berg – die eifrigste unter den vielen anbiedernden Motten um die Königin, eine geistreichelnde, innerlich verstaubte Person, mit der ich niemals vernünftig reden konnte – waren dem königlichen Tross bis nach Freienwalde entgegengefahren. Und Luisens Vater, der Herzog Karl, erwartete Tochter und Schwiegersohn im Königlichen Palais. Cousine Evelyn wusste über alles Bescheid: Sie hatte Prinz Ferdinands Tafel in Schloss Bellevue beliefert, wo man den Tag beim Souper ausklingen lassen würde:
    »Dem alten Langustier hätte es wohl gefallen: Krebssuppe orientalisch, Türkentaube, am Spieß grilliert auf Weißbrot, mit Ananas und Pisangfrüchten, im Kressebett ruhende Rehschulter mit Salbeibutter und Herzoginkartoffeln ...«
    Ohne Evelyn unterbrechen zu wollen – aber wir mussten uns beeilen! Sie war selbstverständlich mit von der Partie: Vom Frankfurter Tor bis zum Königlichen Palais läuteten bereits die Glocken, es donnerten die Kanonen an diesem klarsten, sonnenhellsten Vorweihnachtstag, als wir unseren Lugposten an einem der obersten Fenster des Zeughauses bezogen. Die weißen Fahnen, die von allen Türmen und von den Fenstern des Schlosses wehten, spielten in der reinen Bläue der Luft.
    Zuerst sahen wir nur eine Menge Postillione, gefolgt von der Schützengilde. Den Anschluss machte die Garde du Corps. Da endlich: der König zu Pferde, attachiert von seinen Brüdern Prinz Wilhelm und Prinz Heinrich. Wie von der wogenden Volksmenge getragen, schwebte hinter ihnen das vielgepriesene Geschenk des Magistrats heran – der achtspännige Wagen! Neben der Königin und der alten Schildkröte (der Voß) saßen auch Charlotte, Karl und Alexandrine darin. Und wohl auch Luise und Albrecht, aber die habe ich nicht sehen können, die waren noch zu klein. Es zogen die Garden zu Fuß mit den kindlichen Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm vorüber, hinterher die ganze Berliner Garnison, an der Spitze der Artillerie Prinz August, des Königs Onkel zweiten Grades, des verstorbenen Louis Ferdinands Bruder, Prinz Ferdinands nunmehr ältester Sohn, gefolgt von den Nationalgarden und den Zünften.
    Wenig später stand der König schon auf dem Balkon des Königlichen Palais und winkte. Königin Luise war noch nicht zu sehen. Offenbar war sie noch zu sehr vom bewegenden Wiedersehen mit dem Vater gefesselt, um sogleich zu ihrem Volk herauszutreten. Als sie endlich dastand, erkannten wir sie kaum, so sehr hatte die Pein an ihr gezehrt. Nach Minuten erst fand ich aus der Entfernung die vertrauten lieben Züge wieder; sie wirkten abgestumpft, wie verwischt vom Leid der zurückliegenden schweren Jahre. Ich war wie gelähmt vom Eindruck der gezeichneten Frau. Die Garden deponierten die Fahnen im Inneren des Palais. Damit war die Einholung vollzogen. Berlin hatte seine Herrscher wieder, nach drei Jahren der Abwesenheit. Aber es war eine gedrückte, bedrückende Heimkehr. Es dauerte nicht lange, dann fuhren die Allerhöchsten zum Prinzen Ferdinand hinaus. Nun standen wir unten am Palais und winkten der Kutsche zu. Fast auf den Tag genau vor sechzehn Jahren hatte ich sie hier jubelnd empfangen und war von ihr zur Hochzeit eingeladen worden. Diesmal entschuldigte sie sich Tage später mit einem Billett, das die Schwester Ferdinands, des Helden von Saalfeld, am 27. Dezember bei Cousine Evelyn für mich abgab, als sie wie üblich ihre zwei Flaschen Champagner im Delicatess-Comptoir abholte. Luise also schrieb:
    »Sie wiederzusehen, beste Freundin – wie sehr wünschte ich dies schon am Tag unserer Ankunft! Doch Prinz Ferdinand
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