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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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erstbesten Anlass kicherte und wie eine Halbwüchsige aussah. Er hatte sie gern gehabt. Und sie ihn auch.
    Lawdbor von Murivel, mit dem er sich einmal in Wyzima um ein Haar geschlagen hätte, als er den Zauberer dabei ertappte, wie der mit Hilfe feiner Telekinese die Spielwürfel manipulierte.
    Lytta Neyd, genannt die Koralle. Den Spitznamen hatte sie von der Farbe des Lippenrouges erhalten, das sie benutzte. Lytta hatte ihn einmal vor König Belohun verleumdet, und zwar so, dass er für eine Woche ins Verlies gewandert war. Als er freigelassen wurde, war er zu ihr gegangen, um nach den Gründen zu fragen. Irgendwann war er dabei in ihr Bett geraten und hatte dort eine weitere Woche zugebracht.
    Der alte Gorazd, der ihm hundert Gulden dafür bezahlen wollte, dass er ihm die Untersuchung seiner Augen ermöglichte, und der tausend für die Möglichkeit anbot, eine Sektion durchzuführen, »nicht unbedingt sofort«, wie er sich damals ausdrückte.
    Es waren noch drei Namen übrig.
    Er hörte hinter sich ein Rascheln und wandte sich um.
    Sie war barfuß, trug ein einfaches Leinenkleid. Auf den langen, hellen Haaren, die ihr locker auf die Schultern fielen, hatte sie einen Kranz aus Gänseblümchen.
    »Sei gegrüßt«, sagte er.
    Sie hob den Blick aus kalten, blauen Augen zu ihm, antwortete nicht.
    Er bemerkte, dass sie nicht sonnengebräunt war. Das war seltsam; jetzt, gegen Ende des Sommers, da die Bauernmädchen für gewöhnlich von der Sonne braungebrannt waren, hatten ihr Gesicht und die bloßen Schultern eine leicht goldgelbe Farbe.
    »Du hast Blumen gebracht?«
    Sie lächelte, die Wimpern gesenkt. Er spürte Kühle. Sie ging wortlos an ihm vorüber, kniete zu Füßen des Menhirs nieder, berührte mit den Händen den Stein.
    »Ich bringe keine Blumen«, sagte sie und hob den Kopf. »Aber die, die hier liegen, sind für mich.«
    Er betrachtete sie. Sie kniete so, dass sie den letzten Namen, der in den Stein des Menhirs gehauen war, vor seinem Blick verbarg. Vor dem Hintergrund des dunklen Felsblocks war sie hell, unnatürlich, strahlend hell.
    »Wer bist du?«, fragte er langsam.
    Sie lächelte, und Kälte wehte ihn an.
    »Weißt du es nicht?«
    Ich weiß es, dachte er, während er in das kalte Blau ihrer Augen schaute. Ja, ich glaube, ich weiß es.
    Er war ruhig. Er konnte nicht anders. Nicht mehr.
    »Ich war immer neugierig, wie du aussiehst, Herrin.«
    »Du brauchst mich nicht so anzusprechen«, sagte sie leise. »Wir kennen uns doch seit Jahren.«
    »Wir kennen uns«, bestätigte er. »Es heißt, dass du mir auf Schritt und Tritt folgst.«
    »Das tue ich. Aber du hast niemals zurückgeschaut. Bis heute. Heute hast du zum ersten Mal hinter dich geblickt.«
    Er schwieg. Er hatte nichts zu sagen. Er war müde.
    »Wie ... Wie wird es geschehen?«, fragte er schließlich, kühl und ohne Regung.
    »Ich werde dich bei der Hand nehmen«, sagte sie und blickte ihm geradewegs in die Augen. »Ich werde dich bei der Hand nehmen und über eine Wiese führen. In den Nebel, kalt und feucht.«
    »Und weiter? Was kommt danach, hinter dem Nebel?«
    »Nichts.« Sie lächelte. »Danach kommt nichts mehr.«
    »Du bist mir auf Schritt und Tritt gefolgt«, sagte er. »Aber erreicht hast du andere, jene, an denen mein Weg vorbeiführte. Warum? Es ging darum, dass ich allein bliebe, nicht wahr? Dass ich mich endlich zu fürchten begänne? Ich will dir die Wahrheit gestehen. Ich habe dich immer gefürchtet, immer. Aus Furcht habe ich nicht zurückgeschaut. Aus Angst, ich könnte dich sehen, wie du gleich hinter mir gehst. Ich habe mich immer gefürchtet, mein Leben habe ich in Furcht gelebt. Ich habe mich gefürchtet ... Bis heute.«
    »Bis heute?«
    »Ja. Bis heute. Wir stehen uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und ich fühle keine Furcht. Du hast mir alles genommen. Auch die Furcht hast du mir genommen.«
    »Warum also sind deine Augen voller Angst, Geralt von Riva? Deine Hände zittern, du bist bleich. Warum? Fürchtest du so sehr den letzten, vierzehnten Namen, der in den Obelisken gehauen ist? Wenn du willst, sage ich dir, wie dieser Name lautet.«
    »Das brauchst du nicht. Ich weiß, welcher Name das ist. Der Kreis schließt sich, die Schlange schlägt ihre Zähne in den eigenen Schwanz. So muss es sein. Du und der Name. Und die Blumen. Für sie und für dich. Der vierzehnte in den Stein gehauene Name, der Name, den ich inmitten der Nacht und im Glanz der Sonne ausgesprochen habe, bei Kälte, sengender Hitze und Regen.
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