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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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Dame im Bluebell-Trakt zu sagen pflegt, ist man unter Leuten, die alt und inkontinent sind, nie weit vom »Kackageruch« entfernt.
    Die Zimmer selbst unterscheiden sich je nach Zustand und Fähigkeit ihrer Bewohner. Da noch fast alle schlafen, können wir ungestört einen Blick in einige dieser Unterkünfte werfen. Hier in D10, einem zwei Türen von dem dösenden Altenpfleger entfernten Einzelzimmer, liegt die alte Alice Weathers (sanft schnarchend, während sie davon träumt, als perfekte Tanzpartnerin Fred Astaires über einen weißen Marmorboden zu schweben). Sie ist von so vielen Dingen aus ihrem früheren Leben umgeben, dass sie sich zwischen Sesseln und Beistelltischen hindurchschlängeln muss, um von der Tür zu ihrem Bett zu gelangen. Was ihre Geisteskräfte anbelangt, so besitzt Alice davon sogar noch mehr als an alten Möbeln: Sie hält ihr Zimmer ohne Mithilfe makellos sauber. Nebenan in D12 schlafen zwei alte Farmer namens Thorvaldson und Jesperson – die seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen haben – nur durch einen dünnen Vorhang getrennt in einem bunten Gewirr aus Familienfotos und Kinderzeichnungen ihrer Enkel.
    D18, weiter den Korridor entlang, bietet einen Anblick, der dem sauberen, übervollen Durcheinander in D10 vollkommen entgegengesetzt ist, genau wie sein Bewohner, ein als Charles Burnside bekannter Mann, als exaktes Gegenteil von Alice Weathers gelten könnte. D18 weist keinerlei Beistelltische, Vitrinen, Polstersessel, goldgerahmte Spiegel, Lampen, Webteppiche oder Samtvorhänge auf; der kahle Raum enthält nur ein Metallbett, einen Plastikstuhl und eine Kommode. Auf der Kommode sind weder Fotos von Kindern oder Enkeln zu sehen, noch sind die Wände mit Buntstiftzeichnungen von klobigen Häusern und Strichmännchen geschmückt. Mr. Burnside zeigt auch keinerlei Interesse an häuslicher Arbeit, weshalb eine dünne Staubschicht den Fußboden bedeckt, das Fensterbrett und die kahle Deckplatte der Kommode. D18 ist aller Geschichte beraubt, bar jeglicher Persönlichkeit. Es wirkt so brutal und seelenlos wie eine Gefängniszelle. Starker Gestank nach Exkrementen verpestet die Luft.

    Trotz aller Unterhaltung, die uns Chipper Maxton bietet, und trotz Alice Weathers’ ganzem Charme sind wir aber vor allem hergekommen, um Charles Burnside – »Burny« – zu sehen.

2
    Chippers Herkunft kennen wir ja bereits, nun zu Alice. Sie ist aus einem großen, in der Gale Street gelegenen Haus ins Maxton gekommen. Dort, im alten Teil der Gale Street hat sie zwei Ehemänner überlebt, fünf Söhne großgezogen und als Klavierlehrerin vier Generationen von Kindern aus French Landing unterrichtet, von denen keines jemals den Pianistenberuf ergriffen hat, die sich aber alle liebevoll an sie erinnern und mit Zuneigung an sie zurückdenken. Alice ist wie die meisten anderen hierher gekommen: in einem Auto, das von einem der eigenen Kinder gefahren wurde, und mit einer Mischung aus Widerstreben und Schicksalsergebenheit. Sie war zu alt geworden, um allein in dem großen Haus im alten Teil der Gale Street leben zu können; da waren zwar zwei erwachsene, verheiratete Söhne, die sich liebevoll um sie kümmerten, aber sie wollte ihnen um keinen Preis zur Last fallen. Alice Weathers hatte ihr gesamtes Leben in French Landing verbracht und keine Lust, irgendwo anders zu leben; in gewisser Weise hatte sie schon immer gewusst, dass sie ihre Tage im Maxton beschließen würde, das zwar keineswegs luxuriös, aber durchaus annehmbar war. An dem Tag, an dem ihr Sohn Martin sie zu einer Besichtigung der Seniorenresidenz hinübergefahren hatte, wurde ihr bald klar, dass sie bereits mindestens die Hälfte der Bewohner hier kannte.
    Anders als Alice ist Charles Burnside, der große, hagere Alte, der vor uns unter einem Laken auf seinem Metallbett liegt, mitnichten in vollem Besitz seiner Geisteskräfte, noch träumt
er gar von Fred Astaire. Die von Adern durchzogene Fläche seines kahlen, schmalen Schädels zieht sich zu Augenbrauen hinunter, die grauen Drahtbürsten gleichen, Augenbrauen, unter denen, geteilt durch eine fleischige Hakennase, zwei eng zusammenstehende Augen aus dem nach Norden führenden Fenster des Zimmers in den großen Wald hinter dem Maxton hinausstarren. Von allen Bewohnern des Daisy-Trakts schläft nur Burny nicht. Seine Augen glitzern, und die Lippen sind zu einem bizarren Lächeln verzogen – aber diese Details haben nichts zu bedeuten, Charles Burnsides Verstand ist nämlich ähnlich leer wie
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