Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition)
Autoren: Eowyn Ivey
Vom Netzwerk:
auf den Wagensitz, die noch warmen, in Handtücher eingeschlagenen Kuchen auf dem Schoß. Ein unerwartet aufgeregter Schauer lief ihr über den Rücken. Was immer bei den Bensons geschehen würde, es war gut, aus dem Haus zu kommen. Sie hatte das Gehöft seit Wochen nicht verlassen. Auch Jack wirkte vergnügter. Er schnalzte dem Pferd zu, und als sie dem Weg folgten, der von ihrem Besitz wegführte, zeigte er Mabel, wo er gerodet hatte, und erzählte ihr von seinen Ideen für das Frühjahr. Er schilderte, wie das Pferd ihn neulich beinahe getötet hätte und wie es vor einem Rotfuchs gescheut hatte.
    Mabel hakte sich bei ihm unter. «Du hast eine ganze Menge geleistet.»
    «Ohne die Bensons hätte ich es nicht geschafft. Ihre Arbeitspferde sind einfach fabelhaft. Da kann diese Kreatur hier nicht mithalten.» Er schüttelte sachte die Zügel.
    «Hast du seine Frau schon kennengelernt?»
    «Nein. Bloß George und seine Söhne. George war früher Goldgräber, aber dann ist er Esther begegnet, und sie haben beschlossen, sich niederzulassen und eine Familie zu gründen.» Jack zögerte, räusperte sich. «Scheint mir jedenfalls ein netter Kerl zu sein. Er hat uns sehr geholfen.»
    «Ja, allerdings.»
    Als sie bei den Bensons ankamen, trat gerade jemand aus dem Stall. Mabel dachte zuerst, es sei George, der sich da mit einem flatternden, kopflosen Truthahn abmühte, aber dafür war die Person zu klein. Außerdem schaute ein dicker grauer Zopf unter der Wollmütze hervor.
    «Das muss Esther sein», sagte Jack.
    «Meinst du?»
    Die Frau hob das Kinn zum Gruß und rang mit dem großen, sterbenden Vogel in ihren Armen. Blut spritzte um ihre Füße.
    «Geht schon mal ins Haus», rief sie ihnen zu. «Die Jungs helfen euch dann mit dem Pferd.»
    Drinnen setzte sich Mabel allein an den vollgestellten Küchentisch, Jack verschwand mit George und dem jüngeren Sohn nach draußen. Die Hände im Schoß, den Rücken gerade, überlegte sie, wo sie wohl essen würden. Der Tisch war überladen mit Stapeln von Katalogen, gespülten, leeren Einmachgläsern und Stoffballen. Es roch stark nach Kohl und sauren Moosbeeren. Das Blockhaus war nicht viel größer als das von Jack und Mabel, hatte aber ein Dachgeschoss, wo sich vermutlich die Betten befanden. Das Haus war so krumm und schief, dass einem fast schwindlig werden konnte; der Fußboden senkte sich zu einer Seite, und die Ecken waren nicht rechtwinklig. Steine, gebleichte Tierschädel und getrocknete Wildblumen waren auf den Fensterbänken aufgereiht. Ohne sich vom Fleck zu rühren, ließ Mabel neugierig ihren Blick schweifen.
    Sie zuckte zusammen, als die Tür aufgestoßen wurde.
    «Dieser verflixte Vogel. Man sollte meinen, er lässt’s gut sein und gibt den Geist auf. Aber nein, er macht einen Mordsaufstand, dabei hat er nicht mal mehr ’nen Kopf am Hals.»
    «Oh. Ach du meine Güte. Kann ich irgendwie helfen?»
    Ohne die schmutzigen Stiefel auszuziehen, stampfte die Frau am Tisch vorbei und warf den Truthahn auf die überfüllte Anrichte. Eine Schmalzdose fiel krachend zu Boden; Esther kickte sie zur Seite und wandte sich Mabel zu, die verwirrt und ein wenig verschreckt aufstand.
    Esther streckte grinsend ihre blutbefleckte Hand aus.
    «Mabel? Hab ich recht? Mabel?»
    Mabel nickte und ließ sich von Esther kräftig die Hand schütteln.
    «Esther. Aber das hast du dir wohl schon gedacht. Schön, euch endlich hier zu haben.»
    Unter dem Wollmantel trug Esther eine geblümte Bluse und eine Männer-Drillichhose. Ihr Gesicht war blutbefleckt. Als sie die Wollmütze herunternahm, standen struppige Haarsträhnen ab. Sie schwang den Zopf auf den Rücken und füllte Wasser in einen großen Topf.
    «Man sollte meinen, bei all den Männern hier findet sich einer, der mir einen Truthahn schlachtet und rupft. Pustekuchen.»
    «Kann ich ganz bestimmt nichts tun?» Vielleicht würde Esther sich ja noch für ihr Aussehen oder für die Unordnung im Haus entschuldigen. Vielleicht gab es ja eine Erklärung, einen Grund dafür.
    «Nein, nein. Mach’s dir einfach gemütlich. Du kannst uns Tee machen, wenn du magst, solange ich den verfluchten Vogel in den Ofen schiebe.»
    «Oh. Ja. Danke.»
    «Weißt du, was unser Jüngster angestellt hat? Wir halten uns ein paar Truthähne, nur, um sie bei Anlässen wie heute zu braten, und er geht gestern hin und schießt ein Dutzend Schneehühner. Fürs Erntedankfest, sagt er. Was brauch ich zum Erntedank ein Dutzend tote Schneehühner? Wozu Truthähne füttern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher