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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr
Autoren: Albert Schöchle
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selbst herrschte damals eine strenge
Zucht. An der Wand hing hinter einem Glasrahmen das Schulgebet, das der
Schüler, der den Klassendienst hatte, jeden Morgen abnehmen mußte, dann wurde
gemeinsam gebetet. Wozu er es abnehmen mußte, ist mir heute noch unklar, denn
wir konnten es ja auswendig. Als Zuchtmittel diente in der Volksschule der
Tatzenstecken und Strafarbeiten, in der höheren Schule Strafarbeiten, Arrest
und Rektoratsstrafen beziehungsweise Karzer oder schwerer Karzer. Bei
Strafarbeiten war es höchst peinlich, daß man sie vom Vater unterschreiben
lassen mußte. Mir waren deshalb Tatzen am liebsten. Man hatte es hinter sich
und konnte noch durch stoische Haltung wie ein Indianer am Marterpfahl seine
Spezis beeindrucken. Wie engherzig damals diese Dinge gehandhabt wurden, zeigt
am besten folgender Vorfall: Anläßlich eines Klassenausflugs machten wir eine
kleine Bahnfahrt. Ich beugte mich zum Fenster hinaus, der Wind erfaßte meinen
Schillerkragen, und er flog davon. Dafür bekam ich eine Stunde Arrest. Dabei
ist zu bedenken, daß so ein Schillerkragen damals nicht etwa mit dem Hemd fest
verbunden war, sondern lose eingeschoben wurde. Im folgenden Jahr zog ich bei
Beginn der Bahnfahrt den Schillerkragen ostentativ aus und schob ihn in die
Tasche. Darauf erhielt ich vom gleichen Studienprofessor eine Stunde Arrest,
weil ich »in halbbekleidetem Zustand an einer gemeinsamen Fahrt in einem öffentlichen
Verkehrsmittel teilgenommen und damit das Ansehen einer höheren Schule und
seines Vertreters beeinträchtigt hatte«.
    Da meine Eltern von morgens bis abends
von dem Hotelbetrieb in Anspruch genommen waren, hatten wir zu Hause eigentlich
mehr Kontakt mit dem Hauspersonal als mit den Eltern. Die
Haupterziehungsaufgabe hatte unsere Großmutter mütterlicherseits übernommen.
Abends betreute uns manchmal ein Zimmermädchen. Dieses nahm uns öfters mit zur
Maiandacht in der Stiftskirche. Da ging ich gerne hin, weil mir die vielen
»bunten Schnäpse«, beziehungsweise das, was ich dafür hielt, so sehr
imponierten und ich mich lange der Hoffnung hingab, daß ich eines Tages auch
einmal einen probieren dürfte. Das war nämlich so: Auf dem Hochaltar standen
zur Erhöhung der Feierlichkeit Glaskugeln mit rot, grün, orange und gelb
gefärbtem Wasser, hinter denen Kerzen brannten, und ich hielt als echter
Wirtssohn diesen Beleuchtungseffekt für eine Schaustellung besonders
hervorragender Liköre. Als sich später mein Irrtum aufklärte, erlosch mein
Interesse an den Maiandachten.
    Ansonsten erweiterte der Umgang mit den
Zimmermädchen im großen Umfang unsere Kenntnis von Spuk- und
Geistergeschichten, die zwar meist recht primitiv und blutrünstig, aber deshalb
für ein Kindergemüt besonders eindrucksvoll waren.
     
     
     

Die Sache mit der
Maus, der Katze und dem Bückling
     
     
    Als ich die ersten Volksschuljahre
hinter mir hatte, änderte sich meine Zuneigung, und ich schloß mich mehr den
Piccolos meines Vaters an. Mein spezieller Busenfreund war der Philipp.
Eigentlich hieß er Albert, aber da mein Vater und ich auch Albert getauft
waren, bekam er einfach den Vornamen seines Vorgängers. Besagter Philipp und
ich hatten einen gemeinsamen Todfeind, das war der »Vize« Eugen. Ein »Vize« war
der Vizehausmeister, also der Vertreter des Empfangschefs, der damals noch den
bescheidenen Namen Hausmeister führte. In Eugens Waschbecken schwammen des
öfteren tote Mäuse, aber kein Mensch glaubte, daß diese etwa hier
Selbstmordversuche unternommen hatten, sondern wir kamen in den Verdacht der
Täterschaft. Eugen beschwerte sich bei meinem Vater, und es fand ein Verhör
statt. Der Ort der Verhöre, wenn wir etwas angestellt hatten, war die
Fensterleibung des ersten Fensters des Speisesaals. Sie wurden immer am
Nachmittag, wenn der letzte Gast den Speisesaal verlassen hatte, zelebriert.
Deshalb öffnete Philipp, der es schon ahnte, wenn etwas im Salz lag,
rechtzeitig das Fenster einen kleinen Spalt. Meist wurde ich zuerst zur
hochnotpeinlichen Befragung gerufen, dann stand Philipp draußen vor dem Fenster
und umgekehrt. Mein Vater wunderte sich deshalb über die hieb- und stichfeste
Übereinstimmung unserer Aussagen, die durch keinen Trick — etwa der andere
hätte schon gestanden — ins Wanken gebracht werden konnten.
    Die Sache mit den Mäusen konnten wir
nicht mehr wiederholen, das sahen wir ein; deshalb kamen wir nach Weihnachten
auf die Sache mit der Katze und dem Bückling: Eines Tages fanden wir eine
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