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Das Schiff der Hoffnung

Das Schiff der Hoffnung

Titel: Das Schiff der Hoffnung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fünfundvierzig Jahre und keine zwanzig. Kann ich mit solcher Rückenfreiheit noch gehen? Und auch an der Brust ist der Badeanzug ausgeschnitten.
    Sie stand auf, ging zu dem großen, bis auf die Erde reichenden Spiegel, drehte sich und betrachtete ihre Figur.
    Dafür, daß ich zwei erwachsene Kinder habe, sehe ich noch gut aus, dachte sie. Kein Fleckchen welke Haut, keine Fettpölsterchen, keine tiefen Falten. Schlanke Beine habe ich, und meine Brüste sind rund und in den Haltern straff. Ich habe kein Fett an den Hüften und kein Doppelkinn.
    Aber sie ist dreiundzwanzig Jahre, diese Marion Gronau. Der Hauch der Jugend umweht sie. Wenn sie geht, vibriert ihr Körper. Vielleicht hat sie gar keinen Halter nötig und über ihrer zarten Haut liegt noch der samtweiche Flaum. Auch ich war einmal dreiundzwanzig, und ich war hübscher als sie.
    Erika Haußmann warf die beiden Badeanzüge auf das Bett, ging zum Telefon und rief ein Sportgeschäft in Gelsenkirchen an.
    »Ich komme in einer Stunde zu Ihnen«, sagte sie mit entschlossener Stimme. »Bitte legen Sie mir in meiner Größe, Sie kennen sie ja, 38, eine Auswahl Bikinis zurück. Ja, Bikinis, die schönsten, die Sie haben. Ja, von mir aus die ganz modernen, auch wenn sie verrückt sind. Ich probiere sie nachher an. Schönen Dank, bis später …«
    Dann saß sie wieder auf der Bettkante inmitten von Kleidern, Schuhen, Unterwäsche und Blusen, starrte auf den Koffer und dann hinaus in den sonnenüberfluteten Garten und hatte beide Hände auf den Leib gelegt.
    Er schmerzte wieder. Er fühlte sich an, als sei in seinem Inneren ein runder, harter Kloß. Und wieder stieg die Angst in ihr auf, diese lähmende, das Herz umkrampfende Angst: Ist es Krebs? Bin ich schon vom Tode gezeichnet?
    Und weil sie diese Angst hatte, ging sie nicht mehr zum Arzt. Sie wollte die Wahrheit nicht wissen. Sie wollte, solange es ging, bei ihrem Mann bleiben. Sie zwang sich, stark zu sein und nicht an ihre Angst zu denken.
    Gerade jetzt nicht, wo es in ihrem Leben eine Marion Gronau gab.
    Die Emaillewerke Haußmann & Sohn lagen in der Nähe der Zechen und Eisenwerke in Gelsenkirchen-Schalke und waren nur ein kleiner Komplex im Vergleich zu den großen Konzernen. Aber so, wie das Bankhaus Morgan eines der kleinsten, aber gesündesten Häuser in der New Yorker Wall Street ist, war auch die Emaillefabrik Haußmann & Sohn stabil und krisenfest. Haußmann beschäftigte 150 Arbeiter und Angestellte, hatte nie Krach mit der Gewerkschaft bekommen und ließ keinen Zweifel daran, daß er selbst einmal an der Maschine gestanden hatte, zehn Stunden lang stanzte und von vier Butterbroten und Malzkaffee oder einer Bohnensuppe im Henkelmann lebte. »Mir kann keiner was vormachen!« sagte er immer. »Ich kenne, wie's ist, wenn einem das Kreuz weh tut und man noch vier Stunden abkloppen muß!«
    Marion Gronau wartete schon mit der Post, als Haußmann sein Privatbüro betrat, vorher den sauertöpfischen Hauptbuchhalter und Prokuristen Sczimkinsky begrüßt und zu dem technischen Leiter, der ihn sprechen wollte, gesagt hatte: »In einer halben Stunde, mein Lieber.«
    »Du kommst spät«, sagte Marion, als sie allein im Chefbüro waren. Sie tat etwas beleidigt, warf die Post auf den großen Mahagonitisch und lehnte sich an die Wand, statt sich auf Haußmanns Knie zu setzen. Sie trug ein aufregendes, zitronengelbes Kleid mit tiefem, rundem Ausschnitt, in dem man die Ansätze ihrer Brüste sah. Haußmann setzte sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete ein paarmal tief ein. Dann sagte er: »Komm, Küßchen …«
    »Hast du es ihr gesagt?« fragte Marion und blieb stehen.
    »Natürlich!«
    »Und wie hat sie es aufgenommen?«
    »Wie soll sie es aufnehmen? Ich bin der Herr im Haus. Ich habe ihr es klipp und klar gesagt und bin gegangen. Wozu lange Kommentare?«
    »Ahnt sie etwas?«
    »Ich weiß es nicht. Und wenn …«
    »Was heißt: Und wenn? Du weißt, daß ich keinen Skandal will. Ich liebe dich … aber ohne Aufsehen, Karl.«
    »Aufsehen!« Haußmann trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wenn Erika etwas merkt, werden wir uns aussprechen und dann die Konsequenzen ziehen. Die Kinder sind groß und aus dem Haus. Erika hat das Haus – ich werde ihr das Haus natürlich überschreiben – und bekommt eine anständige Rente. Was steht also einer Scheidung im Wege? Einer stillen, ganz unsensationellen Scheidung?«
    »Und dann?«
    »Dann heiraten wir, Marionmäuschen. Was sonst?«
    Marion Gronau
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