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Das Schiff der Hoffnung

Das Schiff der Hoffnung

Titel: Das Schiff der Hoffnung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wandte sich ab und ging in ihr Büro zurück.
    Dumme Gedanken, so etwas, empfand sie. Erika Haußmann ist eine noch hübsche und gesunde Frau. Warum sollte sie in absehbarer Zeit sterben? Sie ist nicht krank, sie hat keinerlei Beschwerden, sonst hätte es Karl längst erzählt. Sie kann noch dreißig Jahre leben.
    Als sie in ihr Zimmer zurückkam, leuchtete schon das rote Lämpchen über der Tür. Zum Diktat, hieß das.
    Marion Gronau sah in den Spiegel, lockerte ihre blonden Haare etwas und strich mit dem angefeuchteten Zeigefinger über die Augenbrauen.
    Zum Diktat beim Chef … das hieß wieder »Küßchen!« und »Liebst du mich, mein Spatz?«
    Wie närrisch doch manchmal alternde Männer sind.
    An diesem Vormittag kaufte Erika Haußmann in dem Sportgeschäft in Gelsenkirchen zwei aufregende, moderne Bikinis. Als sie sich im Spiegel der Ankleidekabine sah, war sie selbst verblüfft darüber, wie jugendlich sie aussah, wie ebenmäßig ihr Körper war und wie verführerisch ihre Brüste in dem knappen Oberteil wirkten. Und ich bin eine Mutter von zwei erwachsenen Kindern, dachte sie. Im nächsten Jahr vielleicht schon Großmutter. Was wird Karl sagen, wenn er mich so sieht? Staunen wird er. Vielleicht ist es ein Fehler, daß er mich in den letzten Jahren nie so gesehen hat. Es ist falsch, zu denken, als Mutter erwachsener Kinder müsse man sich bescheiden und immer nur seriös erscheinen. Männer lieben das Abenteuer, da ist Karl keine Ausnahme. Auch wenn es ›nur‹ das neu entdeckte Abenteuer bei der eigenen Frau ist.
    Sie kaufte die Bikinis natürlich, aber dann spürte sie plötzlich eine große Schwäche in sich hochsteigen. Sie mußte sich setzen, es wurde ihr schwarz vor den Augen. Sie kam wieder zu sich, als die Verkäuferin ihr ein Glas kaltes Wasser an die bläulichen Lippen hielt und sie anrief: »Ist es jetzt besser, gnädige Frau? Soll ich eine Taxe rufen? Bitte, trinken Sie. Das wird Ihnen guttun.«
    »Danke, danke …«, stammelte Erika Haußmann und stand mit letzter Kraft und unsäglicher Mühe auf. Verstohlen blickte sie in einen der herumstehenden Spiegel und sah schnell wieder weg.
    Ein bleiches, wie verfallenes Gesicht. Blaue Lippen. Tiefe Ränder unter den Augen. Ein erschreckender Anblick.
    »Es geht schon, Fräulein, es geht schon«, sagte sie mit mühsam fester Stimme. »Ein kleiner Schwächeanfall. Mir sitzt noch immer eine verschleppte Grippe in den Knochen … deshalb wollen wir ja auch in den warmen Süden.«
    Erst im Wagen ließ ihre Kraft wieder nach, sie saß, in die Polster zurückgelehnt, fast eine halbe Stunde, ehe sie fähig war, wieder selbst zu fahren.
    Zu Dr. Wagenfeldt, dachte sie. Ich muß zu Dr. Wagenfeldt.
    Aber dann fuhr sie doch nach Hause und legte sich auf die Couch. Wie immer hatte sie Angst vor der Wahrheit. Auch wenn heute die Krebsbehandlung große Fortschritte gemacht hatte und eine Heilung oft möglich war, sofern man die Krankheit rechtzeitig erkannte, wußte sie nicht, wie sie es ertragen würde, wenn Dr. Wagenfeldt zu ihr sagte: »Keine Sorge, Frau Haußmann. Es ist nur ein harmloses Gewächs im Leib …«
    Und dann würde man operieren und später bestrahlen und sie hinterher zur Kur schicken. Aber keiner würde ihr sagen, ob es nicht schon zu spät war.
    Nur eins war sicher: Karl würde monatelang allein mit Marion Gronau sein.
    Erika Haußmann schloß die Augen und preßte die Lippen zusammen.
    Nein, ich gehe nicht zum Arzt, sagte sie sich. Ich lasse es darauf ankommen. Solange ich lebe, werde ich um Karl kämpfen. Ich will nicht schon zu Lebzeiten begraben werden …
    Rimini.
    Ein kilometerlanger, weißer Strand mit oftmals zehn Reihen Liegestühlen und Sonnenschirmen hintereinander, abgegrenzt von einem blauen, salzigen Meer und einer Kette weißer oder bunter Hotelpaläste. Dazwischen schreiende Kinder, Hunderte Kofferradios, flirtende Paare, Eisverkäufer, schwarzlockige Jünglinge in knappen Badehosen und mit goldenen Madonnenmedaillons auf der Brust, Pullover- und Seidenstoff-Verkäufer. Bootsvermieter und schreiende Bademeister. Dazu der Geruch von Sonnenöl und Parfüm, von Schweiß und trocknenden Stoffen – sogar der Duft von Reibekuchen, die ein tüchtiger, italienischer Geschäftsmann auf einem hochrädrigen Wagen bäckt und vor den Liegestühlen herschiebt, denn so viele Deutsche liegen hier und braten in der Sonne. Für sie ist der Duft von Reibekuchen wie für einen Bulgaren der Duft roter Rosen.
    Und die Sonne brennt vom wolkenlosen
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