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Das Schiff der Hoffnung

Das Schiff der Hoffnung

Titel: Das Schiff der Hoffnung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ehrlich verblüfft an. »Sie war doch nie krank.«
    »Sie hat es keinem gesagt. Jetzt weiß ich es. Ich habe vorhin einen Anfall miterlebt. Der Arzt hat uns mitgenommen und Erika geröntgt.«
    Durch Marion lief ein deutliches Zittern. Sie zog ein paarmal an der Zigarette und zerdrückte sie dann mit nervösen Fingern.
    »Ist … ist sie sehr krank?« fragte sie leise.
    »Ich weiß es nicht. Morgen früh erfahre ich es. Dr. Borgoporte hat mir versprochen, ganz ehrlich zu sein.«
    »Kann sie so krank sein, daß sie bald stirbt?«
    »Was redest du da!« rief Karl Haußmann und sprang auf. »Wer denkt denn daran?«
    »Ich, mein Bärchen! Wir könnten dann nämlich heiraten … wie du es dir immer erträumt hast …«
    Karl Haußmann nagte an der Unterlippe. Plötzlich war es ihm, als zöge man ihn durch eiskaltes Wasser. Erika tot, dachte er. Das ist undenkbar. Auf einmal ist das undenkbar. Scheiden lassen, ja, das hätte ich. Aber nun ist sie krank und sie kann sterben, wie Marion es so widerlich grob und deutlich sagt. Und da ist es plötzlich etwas anderes. Da denkt man an die vergangenen sechsundzwanzig Jahre, an die Kinder, die sie geboren hat, an den Aufbau der Fabrik, an dem sie mitgeholfen hat, an tausend Kleinigkeiten des Lebens, die man völlig vergessen hatte. Zum Beispiel vor sechs Jahren. Da hatte er eine Lungenentzündung. Vier Tage lag er mit hohem Fieber in der Krisis, und vier Tage und vier Nächte lang hatte Erika neben ihm gesessen bis zum Umfallen und Wache gehalten. So etwas vergißt man schnell, aber es kommt wieder, o ja, es kommt zurück in solchen Augenblicken wie jetzt, wo man glaubt, sich für immer trennen zu müssen … Sechsundzwanzig Jahre, ein halbes Menschenleben – und so soll es nun enden? Karl Haußmann wandte sich ab und ging zur Tür.
    »Wohin willst du denn?« fragte Marion und ließ sich auf das Bett gleiten. Für sie war die Zukunft nun klar, und für diese Zukunft hieß es, Opfer zu bringen.
    »Ich muß zu Erika«, sagte Haußmann heiser.
    »Aber die schläft doch.«
    »Ja. Aber ich muß zu ihr.«
    »Hast du dir für Rimini nicht etwas vorgenommen, Bärchen?«
    Haußmann blickte sich um. Etwas wie Abscheu kam in ihm hoch, wie Ekel beim Anblick einer kriechenden Schlange. Er sah die Nacktheit unter dem dünnen Schleierstoff und die fragenden Augen in dem süßlichen Puppengesicht. Und plötzlich wußte er auch, daß man nicht Karl Haußmann meinte, sondern sein Vermögen, sein Haus, seine Fabrik. Erika starb vielleicht, und die Nachfolgerin bot sich an wie eine Hure.
    »Gute Nacht!« sagte Haußmann rauh und verließ das Zimmer.
    »Du edler Spinner!« rief Marion ihm nach. Aber er hörte es nicht, es ging im Zufallen der Tür unter.
    Dann ging er den Flur zurück zu seinem Zimmer 112 und war glücklich, daß Erika noch lebte, daß sie tief atmete, daß sich ihr Gesicht im Schlaf entspannt hatte und sogar rote Flecken auf den bleichen Wangen lagen. Vielleicht ist alles nur halb so schlimm, dachte er. Vielleicht zeigt das Röntgenbild, daß alles gefahrlos ist. O Gott, laß es so sein! Laß Erika weiterleben. Laß mir meine Frau … meine kleine Rika …
    In dieser Nacht schlief Haußmann nicht. Er saß am Bett und wachte und achtete auf jeden Atemzug.
    Am nächsten Morgen ging er allein zu Dr. Borgoporte. Erika wollte es so, und ihm war es auch lieber.
    Die Sprechstundenhilfe ließ ihn sofort in ein Privatzimmer, als Karl Haußmann seinen Namen nannte, und durch die Art, wie sie ihn behandelte, ahnte er, was er zu hören bekommen würde.
    »Versuchen Sie keine schönen Umschreibungen, Doktor«, sagte er, als Dr. Borgoporte eintrat und die drei Röntgenaufnahmen auf den Tisch legte. »Ich kann die volle Wahrheit ertragen.«
    Und Dr. Borgoporte zeigte ihm die Röntgenaufnahmen, erklärte sie und sagte die Wahrheit.
    Erika saß, in einem ihrer neuen, verführerischen Bikinis, am Fenster zum Balkon und sah hinaus aufs Meer, als Karl Haußmann zurückkam. Sie sah wieder jung und heiter aus, wie das blühende Leben, und ihm war es, als würge ihn jemand und schüttele ihn hin und her und schlage ihn mit dem Kopf gegen die Wand. Wie schön sie ist, dachte er und hätte sich dabei zerreißen können. Nie, nie habe ich sie so schön gesehen seit unserer Hochzeitsreise vor sechsundzwanzig Jahren. Wie blind bin ich gewesen, wie gleichgültig, wie verbrecherisch uninteressiert. Und jetzt sehe ich es, jetzt …
    »Was sagte der Arzt?« fragte Erika und lehnte sich zurück. Ihr Haar glänzte
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