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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch
Autoren: Michael Siefener
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Spott.
    Auf dem kleinen Mahagonitisch zwischen den beiden Ledersesseln
standen bereits zwei dampfende Tassen Kaffee. Arved nahm in dem
linken Sessel Platz, in dem er immer saß. Der Kaffee vor
ihm war von milchigem Hellbraun – »Sie verdünnen
wohl alles in Ihrem Leben«, hatte Lioba dazu einmal gesagt
– und der andere schwarz. Lioba riss sich von den
Büchern los, ließ sich schwer in den zweiten
Ledersessel fallen und schlug undamenhaft die Beine
übereinander. Sie nahm aus der Packung auf dem Tisch einen
Zigarillo, steckte ihn sich an und sog heftig daran. Mit
sichtlichem Wohlbehagen stieß sie Rauchkringel in die Luft.
Dabei betrachtete sie nachdenklich den Bücherkarton.
»Schon seltsam«, meinte sie. »Ich habe vor ein
paar Tagen mit meinem Kollegen Zaunmüller aus der
Johannisstraße geplaudert, und er meinte, es komme
öfter vor, dass ihm außerhalb der Öffnungszeiten
Bücher an die Ladentür gestellt werden.« Sie
streifte die Asche an dem kleinen Aschenbecher aus Onyx ab.
»Mit solchen Geschichten konnte ich nicht dienen –
bisher.«
    Arved sah den Karton an, als handle es sich um ein riesiges
Insekt, von dem er nicht ganz sicher war, ob es noch lebte.
»Vielleicht ist es ein Geschenk von Herrn Antiquar
Zaunmüller«, mutmaßte er.
    Lioba schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht. So
viel ich beim ersten Durchstöbern gesehen habe, handelt es
sich fast ausschließlich um Titel aus meinem eigenen
Bereich. Einiges ist wertloser Mist, aber ein paar Sachen sind
durchaus wertvoll. Zaunmüller könnte sie sehr gut
verkaufen. Das sind keine Bücher, die man einfach nur
entsorgen will – und wenn doch, dann war der Täter ein
Dummkopf. Auch das schließt Zaunmüller von vornherein
aus.« Sie legte den halb aufgerauchten Zigarillo in den
Ascher, stand auf und bückte sich zu dem Karton
herunter.
    Arved nahm einen Schluck Kaffee und schloss die Augen. Niemand
kochte so guten Kaffee wie Lioba Heiligmann. Vielleicht war das
eines der Geheimrezepte ihres erfolgreichen Bücherhandels.
Arved schlug die Augen wieder auf und sah Lioba über den
Karton gebeugt, als würde sie inbrünstig beten. Neben
sich hatte sie bereits einen kleinen Bücherstapel
angehäuft.
    »Die Amonesta-Ausgabe vom Soldan-Heppe-Bauer, na
ja«, murmelte sie und begründete mit dem rot
eingebundenen Buch einen zweiten Stapel. »Hm, die Magie
der Renaissance.« Das Buch mit dem schwarzen
Schutzumschlag wanderte auf den größeren Stapel.
»Schobers Blutbann und Braems Magische Riten, brr.« Schon war der zweite Stapel um zwei Bücher
höher. »Hallo! Das ist ja Ennemosers Geschichte der
Magie in der Erstausgabe!« Sie legte das Buch
vorsichtig auf den größeren Haufen und sah hoch zu
Arved. »So etwas gibt man doch nicht so einfach weg. Und
Sie haben wirklich nicht gesehen, wer mir den Karton vor die
Tür gestellt hat?«
    Arved schüttelte den Kopf. Er hielt noch die inzwischen
leere Tasse in der Hand; er brauchte etwas, woran er sich
festhalten konnte. »Vielleicht ein unbekannter Verehrer von
Ihnen?«, wagte er zu fragen und spürte, wie er dabei
rot wurde.
    »Klar. Jemand, der mich um meiner Caritas-Kleider und
meiner unnachahmlichen Art wegen liebt.« Dabei bückte
sie sich wieder über den Karton. »Gut, dass mein
unbekannter Gönner den Regen abgewartet hat; sonst
wären all diese schönen Bücher nur noch
Brei.« Sie schien wieder eines entdeckt zu haben, das nicht
ganz so schön wie die anderen war, und warf es mit einem
verächtlichen Schnauben auf den kleineren Haufen.
    Arved erkannte nur einen Teil des Titels: Die Vernichtung
der weisen… Offenbar war die Vernichtung zur
Vernichtung freigegeben. Inzwischen war sein Kopf wieder
kühler geworden.
    »Was ist denn das?« Lioba richtete sich auf, hielt
ein schmales, in hübsches Leder gebundenes Buch hoch und
schlug es mit dem zugleich zärtlichen und bestimmten Griff
einer geborenen Antiquarin auf. »Das Schattenbuch. Hm.« Sie blätterte es vorsichtig durch. »Scheint
kein okkulter Text zu sein, eher etwas Literarisches. Mit
Bildern.« Sie klappte das Buch zu und schien sich nicht
entscheiden zu können, zu welchem Haufen sie es legen
sollte. Als sie Arveds fragenden Blick bemerkte, reichte sie es
ihm.
    Das weiche, braune Leder schmiegte sich ihm in die Hände,
als wolle es von ihm gestreichelt werden. Es erinnerte ihn an
seine beiden Katzen, die er von Lydia Vonnegut geerbt hatte.
Beinahe hatte er den Eindruck,
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