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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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ihn die Gedanken der Chinesen in gewisser Weise faszinierten. Da er sich jedoch zu alt für eine jahrelange Reise fühlte, mußte er zwischen den beiden italienischen Zielorten und einer verschlüsselten Andeutung in einer ibero-arabischen Handschrift wählen.
    An diesem Punkt angelangt, fragte er sich immer wieder, ob er nicht einem Hirngespinst nachjagte. Ja, genau genommen konnte er nicht einmal sagen, was er eigentlich suchte ...
    Er hatte alles studiert, was er über die Entstehung der ersten gotischen Kathedralen gefunden hatte. Sie hießen noch nicht so, aber als gelerntem Baumeister war es ihm nicht schwergefallen, diese plötzlich in der Baukunst aufgetauchte Veränderung des Stils beim Bau der neuen Gotteshäuser aufzuspüren.
    Es war ein mathematisches und religiöses Phänomen gleichzeitig!
    Streng nach den alten Regeln waren innerhalb weniger Jahrzehnte magische Elemente und absolut neue Formen verwendet worden. Er wußte, daß bereits im Aachener Dom, der kurz nach der Wende des 9. Jahrhunderts erbaut worden war, Sommer- und Wintersonnenwende, Tag- und Nachtgleiche, Frühlings- und Herbstanfang exakt durch den Fall von Licht und Schatten innerhalb des Oktagons angezeigt wurden. Doch das hatte noch nichts mit dem neuen Wissen zu tun, dem Dutzende von Baumeistern in den letzten Jahren unabhängig voneinander gefolgt waren.
    Die eigentlichen Geheimnisse gehörten den echten, eingeweihten Alchimisten, die auf der Suche nach dem Urstoff gelernt hatten, Materie zu spalten und ihre Seele zu entdecken ...
    Im Sommer des Jahres 1206 entschloß sich Roland, zum Kloster von Altomünster zu reisen. Dort sollten sich einige Abschriften von Buchrollen der 47 v. Chr. durch Feuer zerstörten Bibliothek von Alexandria, der größten der Antike, befinden.
    Kurz vor Straßburg wurde seine Kutsche von Briganten überfallen. Er verlor seine gesamte Barschaft und einen Teil unersetzlicher Dokumente, jedoch nicht die Empfehlungsschreiben aus Avignon.
    Eben diese Schreiben und möglicherweise auch sein fortgeschrittenes Alter verhalfen ihm zu einer freundlichen Aufnahme durch die Nonnen des Klosters. Die damals achtunddreißigjährige Abtissin Elisabeth half ihm bei seinen Forschungen, so gut sie konnte. Als Gegenleistung erzählte er den Nonnen täglich nach der Vesper vom Bau der Kathedralen, vom französischen Königshof und vom neuen Papst Clemens V.
    Nach anderthalb Jahren hatte er die meisten Schriften durchgesehen. Darüber hinaus hatte er gelernt, Bier zu brauen, Wein zu keltern, Getreide und Gemüse anzubauen und mit Tieren umzugehen. Die Klosterfrauen verstanden viel von Saat und Ernte, Zucht und Dreifelderwirtschaft ...
    In der Dreikönigsnacht des Jahres 1207, seinem neunundfünfzigsten Geburtstag, kam er endlich ans Ziel. Die stets um ihn besorgten Nonnen hatten ihm einen Kuchen aus Buchweizen, Honig und Gewürzen gebacken, die erst durch die Kreuzfahrer in das Land nördlich der Alpen gekommen waren. Roland hatte die wohl nicht ganz unabsichtlich überpfefferte Süße zuerst mit allen Nonnen und später noch eine Weile mit Äbtissin Elisabeth geteilt. Sie tranken mehr Wein als üblich, um den köstlich-scharfen Geschmack des Kuchens aus den brennenden Eingeweiden zu spülen.
    Als sie ihm dann noch eine alte Pergamentrolle schenkte, hatte er in ihr eine zweite Königin von Saba gesehen. Dennoch wäre die Nacht wohl so wie alle anderen verlaufen, wenn Elisabeth nicht mehrere Konstellationen auf geschickteste Weise miteinander zu verbinden vermocht hätte.
    Die Kälte und der tiefe Schnee draußen, die Wärme von den Öllampen in der Kemenate Rolands, der scharfe Kuchen und der schwere Wein weckten eine oft unterdrückte, träumerische Sanftmut in Roland. Die Abtissin hieß ihn zu lesen, was sie ihm geschenkt hatte.
    Er sah sofort, daß er am Ziel seines Lebens angekommen war. Das alte, mit mancherlei kabbalistischen Andeutungen versehene Dokument war eine Arbeit, in der mehrere Geheimlehren miteinander verglichen worden waren. Mit brennenden Augen entzifferte Roland Berichte über den Turmbau von Babylon, über das Geheimnis der Pyramiden, über feurig den Himmel durchkreuzende Wagen und über versunkene Städte, die den Weg zu den Göttern gesucht und nicht gefunden hatten.
    Abtissin Elisabeth schenkte ihm heißen Wein nach, Becher um Becher. Und Roland las, was andere vor ihm gedacht, geglaubt und in Stein oder Metall symbolhaft überliefert hatten.
    Es gab den Weg ins Paradies!
    Man mußte ihn nur finden ...
    In
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