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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Gespräche über den Ehevertrag erwähnte er, daß gewisse Verbindungen zum Lateranpalast des gegenwärtigen Papstes recht nützlich, nicht nur für die Entwicklung des Handels, sondern auch für die Beschaffung weiterer Reliquien sein könnten.
    Als Roland von Coburg auch dann noch kein Verständnis zeigte, hatte ihm van der Meulen gesagt, woher die Gelder kamen, die für den Bau einer so großen Kathedrale erforderlich waren. Ein Teil stammte von Adligen, Kaufleuten, anonymen Gönnern und Ablaß-Kassen. Den größten Teil jedoch bildeten Reliquien-Pfennige ...
    Ein Jahr später wurde Anselm von Coburg geboren. Der Knabe war gesund und kräftig, doch Sigrid erholte sich nicht mehr vom Kindbett. Sie starb vierzehn Tage nach der Niederkunft. Anselm wurde in Pflege gegeben; sein Vater betrat fortan das Haus nicht mehr, er lebte wieder am Fuß der Kathedrale.
    Der nächste Rückschlag kam sieben Jahre später durch Philipp den Schönen. Der König von Frankreich widersetzte sich dem Machtanspruch des Papstes Bonifatius VIII. Im Alter von vierundfünfzig Jahren mußte der Baumeister der Kathedrale erleben, wie sich plötzlich die Türen der Mächtigen vor ihm verschlossen.
    Meister und Gesellen wanderten ab. Der Bau stockte, und gut ein Jahr lang war nur noch ein Dutzend Getreuer auf den Gerüsten. Sie zurrten Seile fest und sicherten die Steinblöcke, die nicht mehr mit Mörtel in den Bau eingefügt worden waren.
    Die Bauhütten verkamen.
    Als Papst Bonifatius VIII. starb, schien die halbfertige Kathedrale dem gleichen Schicksal ausgeliefert zu sein wie Dutzende von anderen, unvollendeten Domen, mit deren Bau im 13. Jahrhundert begonnen worden war.
    Roland von Coburg konnte das drohende Scheitern seines Lebenswerks nicht verwinden. Es war kein verletzter Stolz in ihm, kein Egoismus und kein Bedürfnis nach Ruhm und Ehre. Wie viele andere große Baumeister seiner Zeit fühlte er sich eingebunden in das gemeinsame Werk. Er wollte Gott mit seinem ganzen Herzen dienen und ihm nahe sein.
    Zwei weitere Jahre lief er Tag für Tag um den verlassenen Bau. Er streifte durch die verfallenen Hütten, stieg über halbbehauene Steinblöcke, sammelte Werkzeuge ein und versuchte in schlaflosen Nächten, Fehler in seinen Plänen zu erkennen.
    Zum erstenmal in seinem Leben schrieb er seine Überlegungen nicht nach den Regeln von Zahl und Maß und Raum auf, sondern in Wörtern. In dieser Zeit entstand sein Testament. Aufgrund zunehmender Augenschwäche benutzte er eine Beryllos-Linse aus geschliffenem Kristall, die seine Schriftzeichen vielfach vergrößerten.
    Da er viel Zeit hatte, entwickelte er feinste Schreibstifte und Fließstoff, auf dem er so klein schreiben konnte, daß eine Fliege kaum den Kopf zu wenden brauchte, um ein ganzes Wort zu erkennen. Daneben befaßte er sich mit den Prinzipien der himmlischen Mechanik und mit den geheimen Lehren des Alchimisten Dschabir ben Hajjan, genannt Geber.
    Er wußte längst, daß er mit Stein auf Stein nicht höher kommen konnte als die Unglücklichen Babylons. Es mußte andere Wege und Methoden geben, den Himmel zu erreichen ...
    Im Jahre 1205 verließ Roland von Coburg den Bauplatz. Sein Sohn Anselm lebte bei Pflegeeltern in der Stadt. Roland reiste nach Paris, besuchte Saint-Denis und einige Archive. Dabei erfuhr er, daß ein neuer Papst, Clemens V., den Sitz der Kurie auf massiven Druck von Philipp von Rom nach Avignon verlegt hatte.
    Durch Verbindungen über die Familie seiner Mutter, die ihn seinerzeit zwar nicht anerkannt, aber dennoch durch einen Ehevertrag zwischen der unglücklichen Amalie von Coburg und ihrem impotenten Cousin Ludwig legalisiert hatte, erhielt er ein Empfehlungsschreiben des französischen Königshofs. Er reiste nach Avignon und durfte nach einer Wartezeit von drei Monaten einige sonst nur Klerikern zugängliche Folianten studieren. Daß er schon während der Wartezeit einen päpstlichen Ehrensold erhielt, konnte eine Anordnung aus Paris, Zufall oder auch weise Voraussicht seines Vaters gewesen sein ...
    Die Hinweise, die Roland in Avignon entdeckte, ließen drei Möglichkeiten für die Weiterführung seiner fast schon verbissen durchgeführten Forschungsarbeit zu. Er konnte nach Florenz und Venedig reisen oder versuchen, auf den Spuren Marco Polos, der nur wenige Jahre zuvor den Bericht über seinen Aufenthalt im geheimnisumwitterten chinesischen Kaiserreich veröffentlicht hatte, an asiatische Quellen zu kommen. Letzteren Gedanken verwarf er sofort wieder, obwohl
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