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Das rote U

Das rote U

Titel: Das rote U
Autoren: Wilhelm Matthießen
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dass er seine
Fußspitzen nach außen gehabt hatte. Also machte er’s ebenso,
hielt sich an dem Brett fest und angelte sich mit den Füßen durch
das finstere Fensterloch. Sand, Steinchen und Mörtel bröckelten
hinter ihm hinab. Jetzt hielt er sich von außen her an der Mauer, und
seine Beine baumelten frei innen im Haus in die Tiefe. Sollte er hinabspringen?
Einen Augenblick besann er sich noch. Aber da hörte er wieder ein
Steinstückchen neben sich hinabpoltern, und es schlug dicht unter ihm auf
den Fußboden. Er konnte es also wagen. Und er ließ sich fallen.
Gleich hatte er dann auch festen Boden unter den Füßen.
    Das war also geraten! Und das
übrige bedeutete nun wirklich nur noch eine Kleinigkeit. Zuerst aber
ließ Knöres einmal seine Taschenlampe
aufflammen... Sieh da! Gerade hinter ihm lag ein umgestürzter Schemel. Auf
den musste der Geheimnisvolle geklettert sein, als er wieder zu dem Loch
hinaussteigen wollte, und bei diesem letzten Schwung hatte er mit dem Fuß
den Schemel umgestoßen. Dem Knöres war
also nicht mehr bange, wie er wieder hinaufkommen sollte.
    Und nun leuchtete er herum.
Doch die kleine enge Stube war leer, kahl die Wände ,
überall kam das nackte Mauerwerk heraus, und die Dielenbretter waren an
vielen Stellen verfault, glitschiger Schwamm wucherte an den Bodenbalken. Knöres schüttelte sich vor Grausen, und mit einem
Mal wurde es ihm kalt. Überall an den Wänden rann die Feuchte dickgrün hinab, und sie tropfte von den Deckenbalken.
Jetzt schnell den Zettel gesucht, und dann raus aus dem Loch! – dachte
der Junge. Aber hier war der Befehl des Roten U nicht zu finden, und Knöres ging nun durch die Türe, die lose in nur
einer Angel hing.
    Im nächsten Zimmer sah es
ein wenig besser aus. Der Fußboden war noch fast in Ordnung, und in der
Ecke lag ein Haufen leere Flaschen. Hier also hatten
die Verbrecher ihre Feste gefeiert! Der Junge sah es schon daran, dass noch in
manchen Flaschenhälsen Kerzenstümpfchen steckten. Er musste also nun
vorsichtig sein. Denn gewiss konnte man von draußen durch die Lädenritzen sein Licht sehen! – Aber auch hier
war der Zettel nirgends zu finden. Also noch tiefer hinein in die grausige
Höhle! Vielleicht auf die Dachkammern? Eine schmale Treppe, die eher wie
eine Leiter aussah und lose an der Wand lehnte, führte hinauf. Aber der
Junge sah gleich, dass die Sprossen oder Stufen mit dickem Staub bedeckt waren.
Nicht eine einzige Spur konnte er darauf entdecken.
    Also in den Keller! Die Falltüre , die dorthin führen musste, hatte er
schon gesehen, und als er sich nun zu dem eisernen Ring bückte, an dem man
sie hochzog, sah er gleich, dass sie erst vor kurzer Zeit offen gewesen sein
musste. Leise schlug er also den Deckel zurück und leuchtete hinab in das
schwarze Kellerloch. Da huschten in der Tiefe die Ratten hin und her im
Lichtschein, und zweie sprangen gerade vor ihm die steinerne Treppe hinab.

    Zugleich sah er aber auch schon
an der Wand drunten etwas Weißes – das musste der Zettel sein!
Rasch und doch vorsichtig stieg er hinab. Ja, da war ein rostiger Nagel in der
Wand, und auf den Nagel war ein frisches weißes Papier gespießt...
    Aber was war nun auf einmal
das? Wie ein Seufzen klang es irgendwo, weit – war es oben, war es unten?
Nein, unter ihm musste es sein. Und es war, als wenn Gewänder über
eine Treppe rauschten, und dann wieder, als wenn sich der Nachhall von einem
schweren Stöhnen im Düster verlöre.
    Der Junge war blass geworden.
Spukte es in dem alten Hause? Er riss den Zettel von dem Nagel und stürzte
die Treppe hinauf. Aber da war es ja schon wieder, und nun noch viel
deutlicher... Seine Ohren waren auf einmal so scharf, ganz klar hörte er
das seufzende Hinstreichen an hallenden Wänden, er hörte drüber
das Huschen der Ratten, hörte droben den Regen dumpf an die Läden
pochen.
    Er hielt ein. Sollte er hinauf,
die anderen rufen? Welcher Trost wäre es jetzt, den starken Döll und
den langen, fluchenden Mala bei sich zu haben, oder
wenigstens den kleinen, zähen, hartknochigen Boddas !
    Aber jedes Mal, wenn er wieder
weiter hinauf wollte, hörte er von neuem das Seufzen, immer gleich, immer
dasselbe.
    Er spitzte die Ohren. Nein, das
konnte kein Mensch sein und auch kein Spuk. Tief beugte der Junge sich vor, und
plötzlich fiel es ihm ein: so, ganz genau so hatte es einst in den
Nächten durch die engen Straßen geseufzt und an den Häusern
vorbeigestrichen, als der Rhein so schrecklich über seine Ufer
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