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Das rote Notizbuch

Das rote Notizbuch

Titel: Das rote Notizbuch
Autoren: Paul Auster
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in meine Hand wurde unterbrochen. Sie prallte ab, landete geräuschlos irgendwo in der Nähe, und weg war sie. Ich erinnere mich, daß ich mich bückte und den Bürgersteig absuchte, daß ich in den Blättern und Zweigen am Fuß des Baumes herumwühlte, aber die Münze war nirgends zu finden.
    Ich kann diese Begebenheit auf Anfang Frühjahr datieren, weil ich weiß, daß ich später an diesem Tag ein Baseballspiel im Shea Stadium besucht habe – das Eröffnungsspiel der Saison. Einem Freund von mir waren Karten angeboten worden, und er hatte mich großzügig eingeladen, ihn zu begleiten. Ich war noch nie bei einem Eröffnungsspiel gewesen und kann mich gut daran erinnern.
    Wir waren ziemlich früh da (weil die Karten an einem bestimmten Schalter abgeholt werden mußten), und als mein Freund losging, um die Sache zu erledigen, blieb ich draußen vor dem Eingang des Stadions stehen und wartete. Der Platz war völlig menschenleer. Ich duckte mich in eine Nische, um mir eine Zigarette anzuzünden (es war sehr windig an diesem Tag), und dort sah ich, keine Handbreitvon meinem Fuß entfernt, eine Münze auf dem Boden liegen. Ich bückte mich, hob sie auf und steckte sie in die Tasche. So lächerlich es sich anhören mag, ich war mir sicher, daß dies dieselbe Münze war, die ich am Vormittag in Brooklyn verloren hatte.

5
    Im Kindergarten meines Sohnes war ein Mädchen, dessen Eltern sich gerade scheiden ließen. Der Vater der Kleinen war mir recht sympathisch, ein glückloser Maler, der sich mit Vorträgen zu architektonischen Themen über Wasser hielt. Mir gefielen seine Bilder sehr, aber er fand einfach keine Galeristen, die sich für seine Arbeit einsetzten. Und als er endlich einmal eine Ausstellung hatte, machte die Galerie prompt Bankrott.
    B. und mich verband nur eine lockere Freundschaft, aber wir waren gern zusammen, und von jedem meiner Besuche bei ihm kehrte ich mit erneuerter Bewunderung für seine Beharrlichkeit und innere Ruhe nach Hause zurück. Er war keiner von denen, die ständig schimpften oder sich in Selbstmitleid ergingen.
    So düster sich seine Lage in den letzten Jahren auch gestaltet haben mochte (endlose Geldschwierigkeiten, Ausbleiben des künstlerischen Erfolgs, Kündigungsdrohungen seines Vermieters, Scherereien mit seiner Exfrau), nichts von alldem schienihn aus der Bahn zu werfen. Er malte mit stets gleichbleibender Leidenschaft weiter, und im Gegensatz zu so vielen anderen bekundete er niemals Verbitterung oder Neid auf weniger talentierte Künstler, denen es besserging als ihm.
    Wenn er nicht an eigenen Gemälden arbeitete, ging er gelegentlich ins Metropolitan Museum und fertigte Kopien von alten Meistern an. Ich erinnere mich an einen Caravaggio, den er einmal kopierte und den ich äußerst bemerkenswert fand. Es war eher eine Reproduktion als eine Kopie, ein exaktes Duplikat des Originals. Bei seiner Arbeit im Museum wurde B. einmal von einem texanischen Millionär beobachtet, und der war so beeindruckt, daß er ihn beauftragte, eine Kopie eines Gemäldes von Renoir anzufertigen – die er dann seiner Verlobten zum Geschenk machte.
    B. war außergewöhnlich groß (knapp zwei Meter), er sah gut aus und hatte ein freundliches Wesen   – Eigenschaften, die ihn für Frauen besonders attraktiv machten. Als er nach der Scheidung wieder zu haben war, konnte er sich die Frauen praktisch aussuchen. Ich sah ihn nur zwei- oder dreimal im Jahr, aber dann hatte er jedesmal eine andere. Sie alle waren offensichtlich verrückt nach ihm. Man brauchte nur zu beobachten, wie sie B. ansahen; sie zeigten ihre Gefühle deutlich genug, aber aus irgendwelchenGründen hielten diese Affären nie sehr lange.
    Nach zwei, drei Jahren machte B.s Vermieter seine Drohungen schließlich wahr und kündigte ihm den Mietvertrag für seinen Loft. B. zog aus der Stadt, und ich verlor den Kontakt zu ihm.
    Es vergingen etliche Jahre, und dann kam B. eines Abends in die Stadt zurück, um an einer Dinnerparty teilzunehmen. Meine Frau und ich waren auch da, und da wir wußten, daß B. demnächst heiraten würde, baten wir ihn zu erzählen, wie er seine künftige Frau kennengelernt habe.
    Vor etwa sechs Monaten, sagte er, habe er mit einem Freund telefoniert. Dieser Freund habe sich Sorgen um ihn gemacht und nach einer Weile angefangen, B.   Vorhaltungen zu machen, daß er nicht wieder geheiratet habe. Deine Scheidung liegt jetzt sieben Jahre zurück, sagte er, und in dieser Zeit hättest du ein Dutzend attraktive und
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