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Das Rattenloch

Das Rattenloch

Titel: Das Rattenloch
Autoren: Jason Dark
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verständigen, aber nicht so grell.
    Der Pfiff musste von einem anderen Wesen stammen. Von einem Menschen?
    Ich wollte nichts außer Acht lassen. Es war zudem ganz natürlich, dass ich über den Bachlauf hinweg auf das andere Ufer schaute, denn von dort hatte mich das Geräusch erreicht.
    Und da sah ich die Frau!
    Sie war nackt...
    ***
    Im ersten Moment verschlug es mir die Sprache. Ich wollte zudem nicht glauben, was mir meine eigenen Augen boten. Ein derartiger Szenenwechsel war nicht zu fassen. Es war keine Fata Morgana, die nackte Frau an der anderen Uferseite gab es tatsächlich.
    Erst jetzt wurde ich mir über die eigentliche Breite des Bachlaufs klar. Es war ein Gewässer, das nicht nur im eigenen Bett floss, es war mal schmaler, mal breiter, und es suchte sich rechts und links seinen Weg, wo es flach über die Steine huschte. In der Strommitte floss es schneller, da war der Bach auch tiefer. Aber er hatte zahlreiche Steine aufgenommen, auf denen die nassen Ratten ihre Plätze gefunden hatten und dort hockten wie putzige Murmeltiere, was sie natürlich nicht waren. Es schien noch die Sonne, auch wenn sie tiefer gesunken war. Sie malte die Gegend mit ihrem zerfließenden Licht an. Das Licht und die Schatten am anderen Ufer sahen ebenso aus wie die auf meiner Seite.
    Die Frau stand zwischen dem Unterholz und den ersten Bäumen. Soviel ich erkannte, war ihr Haar dunkel, nicht schwarz. Möglicherweise schimmerte noch ein hellerer Glanz durch die Flut, das konnte aber auch am Sonnenschein liegen.
    Von ihrem Körper sah ich keine Einzelheiten. Sie war nackt, nicht mehr und nicht weniger, und ich fragte mich, was eine nackte Frau in dieser Gegend zu suchen hatte. Es war nicht warm genug, um ohne Kleidung herumlaufen zu können. Und überhaupt, wer lief schon so durch die Gegend? Vielleicht hoffte sie auf Beobachter, war so etwas wie ein weiblicher Narziss. Möglich war schließlich alles.
    Sie tat nichts.
    Es war auch nicht nachzuverfolgen, ob sie mich entdeckt hatte. Bestimmt, ich stand nicht in einer Deckung und sah auch nicht eben aus wie ein Baum.
    Sie schaute, das war klar. Ob sie allerdings in meine Richtung blickte, war nicht festzustellen. Sie gab sich auch relativ gelassen, und sie fürchtete sich nicht vor den Ratten. Jede andere Person wäre geflüchtet, nicht diese nackte Frau. Sie stand da, und für mich hatte es den Anschein, als hätte sie nur auf die Tiere gewartet.
    Beide unternahmen wir nichts. Wir standen wie Statuen da. Wir sahen uns an. Wir suchten nach einer Veränderung, die allerdings nicht eintrat.
    Die Szene hätte sogar einen Maler interessiert, und der hätte sogar Zeit genug gehabt, sie auf die Leinwand zu bringen. Aber in der Umgebung blieb zunächst die Ruhe, ohne von einem Menschen oder einem Tier gestört zu werden.
    Zufall? Glück, dass ich die entscheidende Spur gefunden hatte? Beides vielleicht, aber zugleich der Beweis, dass gewisse Aussagen so falsch nicht waren.
    Es waren sicherlich keine Minuten, sondern nur Sekunden nach der Entdeckung vergangen. Mir jedoch kam die Zeit sehr lang vor und auch die Stille noch intensiver. Ich achtete auf meinen eigenen Herzschlag, der lauter klang als gewöhnlich, und ich hörte die Echos im Kopf.
    Plötzlich bewegte sich die Nackte!
    Sie hob nur den rechten Arm an. Ein knappe Bewegung, die mir gar nicht so aufgefallen wäre, hätte ich sie nicht intensiv angeschaut. Aber sie reichte völlig aus, um den Ratten eine neue Perspektive zu geben. Auf einmal konnten sie sich bewegen. Sie alle hatten die Nackte gesehen, und sie taten das, was ich kaum für möglich gehalten hätte. Blitzartig waren sie aus ihrer Starre erwacht und huschten weg.
    Sie sprangen wieder ins Wasser hinein, zumindest einige von ihnen, denen das Ufer zu weit entfernt war. Die anderen erreichten es mit kraftvollen Sprüngen, und dann passierte etwas, worüber ich mich auch wunderte und schon dabei hart schlucken musste, um es zu akzeptieren. Aber ich hatte ähnliche Dinge schon erlebt. Das war damals bei der Rattenkönigin gewesen.
    Diese Person hier war so etwas Ähnliches. Sie hatte auf die Tiere gewartet, die ihre Freunde waren und sie nicht aus den Augen gelassen hatten.
    Die Nackte war das Ziel.
    Als die ersten sie erreicht hatten, wieselten die nassen Körper um ihre Füße. Die Nager strichen an den Beinen entlang, öffneten die Mäuler, leckten mit ihren Zungen über die Haut oder sprangen in die Höhe und krallten sich dabei nicht richtig fest, weil sie der Frau keine
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