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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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fühlst,
    das du aber nicht beeinflussen kannst.
    In der Realität nimmt er die Gestalt eines Koffers an.
    Die Zeit, die man woanders
    als in seinem Geburtsdorf verbringt,
    sie lässt sich nicht bemessen.
    Eine Zeit außerhalb der Zeit,
    die wir in den Genen tragen.
    Einzig eine Mutter kann sie berechnen.
    Die meine hat zweiunddreißig Jahre lang
    auf einem Esso-Kalender
    jeden Tag angekreuzt,
    an dem sie mich nicht sah.
    Wenn ich auf dem Gehweg meinen Nachbarn treffe,
    lädt er mich jedesmal, ein,
    den dünnen Wein zu kosten, den er im Keller produziert.
    Wir sprechen den ganzen Nachmittag von Juventus.
    Von der Zeit, als Juventus noch Juventus war.
    Er kennt alle Spieler persönlich,
    von denen die meisten längst gestorben sind.
    Ich frage Garibaldi (ich nenne ihn nach seinem Idol), warum er nicht in sein Land zurückkehrt. Meines, sage ich, ist so zerstört, dass schon der Gedanke, es wiederzusehen, weh tut. Aber Sie könnten wenigstens mal wieder ins Stadion von Juventus gehen. Er lässt sich mit der Antwort Zeit, schaltet den Fernseher aus, kommt zurück und setzt sich neben mich. Dann schaut er mir in die Augen, um mir anzuvertrauen, dass er jede Nacht in Italien ist.
    Garibaldi bestellt mich eines Abends zu sich. Wir gehen in den Keller. Das gewohnte Ritual. Ich muss den Hauswein trinken. Ich spüre, dass er mir etwas Ernstes zu sagen hat. Ich warte. Er steht auf, staubt seine Bücher ab, zeigt mir bei der Gelegenheit ein Porträt von D´Annunzio, das der Autor für seinen Vater signiert hat. Ich fürchte, er will mir etwas Skandalöses erzählen. Doch ihm geht es nur darum, mir mitzuteilen, dass er Juventus schon immer hasst und dass seine Mannschaft der FC Turin ist. Da diese Mannschaft hier keiner kennt, alle nur Juventus kennen, hat er von Juventus geredet und an Torino gedacht. Es ist die Tragik seines Lebens. Es vergeht kein Tag, ohne dass ihn sein Verrat wurmt. Falls er einmal nach Italien zurückkehrt, ist er nicht sicher, ob er seinen alten Freunden noch in die Augen schauen kann.
    Ich bringe in die Heimat
    ohne Abschiedszeremonie
    die Götter zurück, die mich
    begleiteten auf dieser langen Reise,
    und mich daran hinderten, den Verstand zu verlieren.
    Auch wenn du den Voodoo nicht kennst,
    der Voodoo kennt dich.
    Die einst geliebten Gesichter verschwinden
    mit der Zeit aus unserem versengten Gedächtnis.
    Die Tragik ist, dass du auch die nicht mehr kennst,
    die dir am nächsten standen.
    Das Gras wächst wieder nach der Feuersbrunst,
    um jede Spur der Katastrophe zu tilgen.
    Der Gegensatz besteht in Wahrheit nicht
    zwischen den Ländern, so verschieden sie sein mögen,
    sondern zwischen Menschen, die gewohnt sind,
    in anderen Breiten zu leben
    (oft schließt dies sozialen Abstieg ein)
    und denen, die sich nie mit einer anderen Kultur
    als ihrer eigenen auseinandersetzten.
    Nur die Reise ohne Ticket zurück
    kann uns retten vor der Familie,
    vor den Blutsbanden und der Engstirnigkeit.
    Wer noch nie sein Dorf verließ,
    richtet sich ein in einer starren Zeit,
    die sich auf lange Sicht
    wohl schädlich für den Charakter erweist.
    Für Dreiviertel der Menschen auf diesem Planeten
    ist nur eine Reise möglich:
    Sie kommen ohne Papiere in ein Land,
    von dem sie weder die Sprache kennen
    noch die Sitten.
    Es ist ein Irrtum, ihnen zu unterstellen,
    sie wollten das Leben
    der übrigen dort verändern.
    Haben sie doch nicht mal
    das eigene im Griff.
    Wer wirklich aufbrechen will, muss alles vergessen,
    selbst was ein Koffer bedeutet.
    Die Dinge gehören uns nicht.
    Wir sammeln sie zu unserer Bequemlichkeit.
    Eben die ist in Frage zu stellen,
    bevor man aus der Tür hinaustritt.
    Klar ist, von der geringsten Bequemlichkeit,
    die man braucht, um hier im Winter zu leben,
    kann man dort nur träumen.
    Als ich herkam, passte alles in einen kleinen Koffer. Was ich heute besitze, stapelt sich überall im Zimmer. Ich frage mich, was aus dem ersten Koffer geworden ist. Habe ich ihn bei einem hastigen Umzug in einem Schrank vergessen? Wenn ich damals weiterzog, ließ ich die letzte Miete auf dem Tisch zurück und im Bett ein schlafendes Mädchen.
    Eben habe ich Garibaldi mit seinem Enkel vorbeigehen sehen, der ihn jeden Freitag nach der Schule besucht. Er kocht ihm Pasta und redet mit ihm seinen dörflichen Dialekt. Der Junge ist erst zehn, aber wenn man ihn fragt, wen er am meisten hasst auf der Welt, nennt er Gianni Agnelli, den Besitzer von Juventus. Der Sohn wollte nichts von Italien wissen, und zog Hockey vor, um
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