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Das Rad der Zeit. Das Vermächtnis des Don Juan

Das Rad der Zeit. Das Vermächtnis des Don Juan

Titel: Das Rad der Zeit. Das Vermächtnis des Don Juan
Autoren: Carlos Castaneda
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Juan behauptete, dass jeder, der nur das geringste Interesse für die Welt der frühen Schamanen zeigte, sofort in den Bannkreis ihres messerscharfen Wollens geraten müsse. Ihr Wollen war für Don Juan eine inkommensurable Größe, die keiner von uns erfolgreich abstreiten könne. Außerdem, erläuterte er, gebe es keine Notwendigkeit, solch ein Wollen abzustreiten; es sei das Einzige, was zählte, es sei die Essenz der Welt dieser Schamanen - eine Welt, die modernen Praktikern begehrenswerter erscheine als alles, was sie sich vorstellen könnten.
    Die Stimmung, die aus den Zitaten aus Eine andere Wirklichkeit spricht, habe ich nicht absichtlich so arrangiert. Es ist eine Stimmung, die unabhängig von meinen Zielen und Wünschen zu Tage trat. Ich könnte sogar sagen, sie war das Gegenteil dessen, was mir vorschwebte. Es war die geheimnisvolle, im Text dieses Buches verborgene Spirale des Rades der Zeit, die plötzlich aktiviert worden war und die in einen Spannungszustand schnellte - eine Spannung, die mir die Richtung meines Vorhabens diktierte.
    Zu jener Zeit, als ich Eine andere Wirklichkeit schrieb, konnte ich, was meine Einstellung zu meiner Arbeit betraf, aufrichtig behaupten, dass ich unvoreingenommen mit anthropologischen Feldstudien befasst zu sein glaubte, und meine Gefühle und Gedanken waren denkbar weit entfernt von der Welt der alten Schamanen. Don Juan war anderer Meinung. Als erfahrener Krieger wusste er, dass ich mich dem magnetischen Sog, der vom Wollen dieser Schamanen ausging, nicht entziehen konnte. Ich wurde davon überschwemmt, ganz gleich, ob ich daran glaubte oder nicht, oder ob es mir gefiel. Dieser Zustand führte bei mir zu einer unterschwelligen Angst. Es war keine Angst, die ich hätte definieren oder benennen können oder die mir etwa bewusst gewesen wäre. Sie durchdrang all mein Tun, ohne die Möglichkeit, bewusst darüber nachzudenken oder eine Erklärung zu suchen. Im Rückblick kann ich nur sagen, dass ich tödliche Angst hatte, obwohl ich nicht sagen konnte, wovor ich mich ängstigte. Ich habe oft versucht, dieses Gefühl der Furcht zu analysieren, aber sofort befielen mich jedes Mal Müdigkeit und Langeweile. Im nächsten Moment fand ich meine Nachforschungen unbegründet und überflüssig, und schließlich gab ich sie auf. Ich befragte Don Juan über den Zustand, in dem ich lebte. Ich brauchte seinen Rat, einen Hinweis von ihm. »Du hast einfach Angst«, sagte er. »Das ist alles. Suche nicht nach geheimnisvollen Gründen für deine Furcht. Der geheimnisvolle Grund liegt vor dir, zum Greifen nah. Es ist das Wollen der Schamanen des alten Mexiko. Du beschäftigst dich mit ihrer Welt, und diese Welt zeigt dir von Zeit zu Zeit ihr Gesicht. Natürlich hältst du den Anblick nicht aus. Konnte ich auch nicht, zu meiner Zeit. Keiner von uns könnte es. « »Du sprichst in Rätseln, Don Juan. «
    »Ja, das tue ich, jedenfalls im Moment. Eines Tages wird es dir klar werden. Heute wäre es Dummheit, auch nur zu versuchen, darüber zu sprechen oder etwas zu erklären. Nichts, was ich dir zeigen möchte, würde sinnvoll sein. Jede unglaubliche Banalität wäre im Augenblick verständlicher für dich. « Er hatte völlig Recht. All meine Ängste waren von einer Banalität ausgelöst, für die ich mich damals schämte und noch heute schäme. Ich hatte Angst, von Dämonen besessen zu sein. Diese Furcht hatte sich schon früh im Leben in mir festgesetzt. Alles, was unheimlich war, war natürlich etwas Böses und Schädliches, das danach trachtete, mich zu vernichten. Je überzeugender Don Juans Ausführungen über die Welt der alten Schamanen waren, desto stärker mein Gefühl, mich schützen zu müssen. Es war keine Empfindung, die ich mit Worten hätte ausdrücken können. Es war weniger das Bedürfnis, mein Selbst zu schützen, als vielmehr die Notwendigkeit, die Glaubwürdigkeit und den unbestreitbaren Wert der Welt zu schützen, in der wir Menschen leben. Für mich war meine Welt die einzig erkennbare Welt. Wurde sie bedroht, dann stellte sich sofort eine Reaktion bei mir ein - eine Reaktion, die sich in einer Art von Furcht äußerte, die ich nie werde erklären können; diese Furcht war etwas, das man selbst empfinden muss, um ihre Ungeheuerlichkeit zu begreifen. Es war nicht die Furcht zu sterben oder die Furcht vor Verletzung. Es war vielmehr etwas unermesslich Tieferes. So tief, dass kein schamanistischer Praktiker in der Lage wäre, es auch nur mit Worten auszudrücken.
    »Du steht
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