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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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In ihrer Welt lacht man über Väter, die über gefallenes Laub nachdenken.
    Aber wir regen uns auch über sehr unterschiedliche Dinge auf. Das wurde heute Morgen wieder deutlich, als sie ausnahmsweise einen Blick in meine Zeitung warf und die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate für verrückt erklärte.
    Sie haben dort einen fünfzehnjährigen Jungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er ein dreizehnjähriges Mädchen geküsst hat. Das fand Carla unvorstellbar. Ich nicht so. Die Gesetze werden schließlich auch in Abu Dhabi weitgehend von Vätern gemacht, und dort greifen sie durch, wenn sich irgendwelche Aknepiraten an ihre Töchter wanzen.
    Ich sagte übertrieben empört: «Wenn ich dich mit so einem Bürschlein erwische, verwandele ich mich in den arabischen Innenminister.» Carla reagierte aber nicht wie erhofft mit grenzenloser Empörung. Zu meiner Überraschung gab sie mir einen Kuss und sagte: «Du bist echt süß.» Dann schmierte sie sich Kajal unter die Augen und raste hinter dem Bus her. Manchmal erfüllt sie einfach nicht meine Erwartungen.
    Aber auf jeden Fall diskutiert sie wahnsinnig gerne, und zwar vor allem über Dinge, von denen sie keine Ahnung hat, die aber ihren Eifer anstacheln. Carla intrigiert zum Beispiel seit Wochen gegen die Glyzinie, die sich an unserem Haus emporrankt. Sie könne das Ding nicht ausstehen, mosert sie. Es sei blöd, hässlich und sinnlos. Ähnlich wie Stechmücken und Pflaumenkuchen. Bei den Mücken kann ich folgen, aber Backwaren und harmlose Rankpflanzen genießen meine Wertschätzung.
    Ich mag Carlas Hasspredigten trotzdem, außer, ich versuche, ein Buch zu lesen, wie letzten Sonntag. Mein wandelnder Konflikt Carla setzte sich neben mich und fing sofort an zu meckern:
    «Es ist eine Sauerei, was solche Typen wie Mario Gomez an Geld verdienen.» Ihr kleiner Bruder hatte ihr erzählt, dass der Stürmer bei Bayern München sechs Millionen Euro pro Jahr bekommen habe. Grob geschätzt.
    «Was ist denn daran eine Sauerei?», fragte ich.
    «Der Kerl kriegt in einem Monat mehr als eine Krankenschwester in zehn Jahren, und er tut absolut nichts für die Menschheit.»
    Gut, da zeigen sich gewisse Gerechtigkeitslücken, das ist wohl wahr. Andererseits wird das verdienstvolle Wirken einer Krankenschwester eben auch nicht live im Fernsehen übertragen, und es ruft kaum je massenhafte Begeisterung inklusive La Ola hervor.
    Ich versuchte, meinem bockbeinigen Pubertier zu erklären, dass Herr Gomez auf seine Weise viel für die Menschheit tue, besonders für die Fußballfans, und dass dies doch schön sei. Sie wischte meine Einlassungen beiseite, auch jene, dass Mario Gomez wahrscheinlich viel Geld für sinnvolle Dinge spende, was ich eigentlich gar nicht weiß, aber hoffe.
    «Der ganze Fußball mitsamt Spielern und Stadien und der kompletten Sportartikelindustrie ist sinnlos und grauenhaft», polterte sie. Das gelte auch für Frauenfußball. Schon der Name: Frauenfußball. Warum nicht Damenfußball? Bei Tennis gehe das schließlich auch. Und bei -Uhren, -Schuhen, -Mode und -Fahrrädern ebenfalls. Carla stellte die These auf, dass angenehme Dinge eine Dame vorangestellt bekämen und die eher schwierigen Themen eine Frau: Frauenhaus, Frauengefängnis, Frauenroman, Frauenfußball.
    Ich wies sie darauf hin, dass es auch die positiv besetzte Frauenrechtlerin gebe und den ausgesprochen notwendigen Frauenarzt und aber keinen Frauen-, sehr wohl aber einen Damenbart. Zudem existierten derartige Schieflagen auch in anderen Gruppen, zum Beispiel bei den Studenten. Diese stellen gerne Studierendenzeitungen her, was immer ein bisschen geschwollen klingt, und verkaufen diese aber in Studentenkneipen. Das Wort «Studierendenkneipe» habe ich jedenfalls noch nie gehört, «Studierendenfutter» auch nicht.
    Es entstand eine Gesprächspause, und ich sah wieder in mein Buch. Carla blieb noch eine Minute bei mir sitzen, dann erhob sie sich, weil sie spürte, dass ich nicht mehr mitmachte. Im Gehen sagte sie leise: «Die Glyzinie ist echt der Mario Gomez der Kletterpflanzen.»

Das Duschtrauma
    Mein Tag fängt in der Woche um acht Uhr an. Vorher bin ich nicht bereit für schockierende Neuigkeiten. Nach dem Kaffee gerne. Dann kann ich vieles ertragen: Erdbeeren, denen in der Dunkelheit des Kühlschranks kleine Bärtchen gewachsen sind. Interviews mit Thilo Sarrazin, dem Vuvuzela des deutschen Sachbuchwesens. Und sogar die Laune unseres Pubertiers, das mir am Freitag mitteilte, ich
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