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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition)
Autoren: Nicole Steyer
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seidenen Hochzeitskleid bewundert. Ihre blonden Haare waren geflochten und aufgesteckt worden, und sie hatte einen Blumenkranz aus Margeriten getragen. Ab diesem Tag war alles anders zwischen ihnen geworden. Ludwig hatte Angelika den Umgang mit Marianne verboten. Sie sah jetzt weg, wenn ihr die Freundin auf der Straße begegnete, und grüßte sie nicht mehr. Marianne hatte anfangs gehofft, dass diese Ablehnung sich geben würde, aber als Ludwig sie an einem windigen Herbsttag wie einen räudigen Hund vom Hof gejagt hatte, hatte sie verstanden. Seitdem war sie nie wieder hierhergekommen. Doch jetzt zögerte sie weiterzugehen. Nur zu gern hätte sie Angelika, die im letzten Jahr Mutter geworden war, wiedergesehen. Die Freundin konnte doch nicht auf ewig so abweisend zu ihr sein. Auch wenn alle sie verachteten und ihr mit Misstrauen und Argwohn begegneten, wusste Angelika es besser.
    Aber dann überlegte sie es sich anders und ging weiter. Angelika hatte jetzt ein eigenes Leben, in dem es für sie keinen Platz mehr gab.
    Einige Meter weiter ließ ein lautes Quietschen Marianne innehalten, und sie wandte sich um.
    Ein kleines Mädchen kam aus dem Hof des Tuchhändlers gewackelt, ruderte mit den Armen, lief auf die Gasse und hob einen Kieselstein auf, den er bewundernd musterte. Marianne blickte zum Hoftor, doch niemand folgte dem Kind. In diesem Moment bog ein mächtiges Fuhrwerk, von vier Pferden gezogen, um die Ecke und fuhr genau auf die Kleine zu. Marianne rannte los, riss das Kind an sich und sprang zur Seite. Das Fuhrwerk ratterte an ihnen vorbei. Das Mädchen riss erschrocken die Augen auf, verzog sein Gesicht und begann zu weinen.
    In dem Moment trat Angelika auf die Straße. Sofort rannte sie zu Marianne und riss ihr das Kind aus den Armen.
    Ihr Blick war eiskalt. Marianne wich zurück, versuchte dann aber, sich zu verteidigen.
    »Sie ist vor eines der Fuhrwerke gelaufen.«
    Angelika sah ihre Tochter mahnend an.
    »Frieda, meine Frieda. Du sollst doch nicht auf die Gasse laufen.«
    Sie wandte sich ab. Marianne schaute ihr fassungslos hinterher. Das konnte doch nicht sein. Sie hatte die Kleine vor dem sicheren Tod bewahrt, denn die Pferde hätten das Kind niedergetrampelt, und das war der Dank dafür. Enttäuscht wollte sie weitergehen. »Warte!«, rief Angelika aber doch noch. Marianne blieb stehen und drehte sich um.
    »Danke, dass du Frieda gerettet hast.« Angelika lächelte schüchtern.
    »Gern geschehen«, antwortete Marianne erleichtert.
    Angelika nickte, hob die Hand zum Gruß, ging auf den Hof zurück und schloss das Tor hinter sich.
    Marianne blieb noch eine Weile stehen und blickte nachdenklich auf die rot gestrichenen Bretter, auf denen in weißen geschwungenen Buchstaben der Name des Tuchhändlers stand.
    Der Verlust ihrer Freundschaft schmerzte sie sehr.
    Doch dann straffte sie die Schultern, schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und ging. Sie würde nichts daran ändern können, sosehr sie es sich auch wünschte, denn sie spielte in Angelikas Leben keine Rolle mehr.
     
    Der Innenhof der Brauerei war wie leer gefegt, als Marianne ihn kurz darauf betrat. Dicke dunkle Quellwolken türmten sich am Himmel bedrohlich auf und verdeckten die Sonne. Doch die schwüle Hitze lag wie eine Glocke über allem. Ihr Kleid klebte an ihrem Körper, und Schweiß rann ihre Beine hinunter. Selbst die Hühner hatten sich in den Schatten des Hauses zurückgezogen. Sanftes Wiehern drang aus der geöffneten Stalltür nach draußen.
    Marianne verdrehte die Augen. Bert und Sepp, die beiden behäbigen Brauereipferde, sollten eigentlich schon längst auf der kleinen Weide stehen, die auf der anderen Seite des Gebäudes direkt an den Gemüsegarten grenzte, um den sich bisher Irmgard gekümmert hatte. Marianne ahnte bereits, dass ihr diese Aufgabe jetzt zufallen würde, wie alles, was Irmgard erledigt hatte. Hedwig Thaler würde ihre Angewohnheit, möglichst wenig zu arbeiten, gewiss nicht ändern.
    Sie betrat den Stall, in dem ihr drückende, nach Pferdemist stinkende Luft entgegenschlug. Sofort scharrten die beiden Tiere unruhig mit den Hufen. Marianne öffnete die Boxen und führte die beiden über den Hof auf die kleine Weide, die nicht mehr als ein Stück Wiese zwischen Hauswänden war. Die Sonne verschwand hinter den Wolken, grummelnd kündigte sich ein Gewitter an. Schwer atmend und von Schwindel geplagt, blieb Marianne unter einem Apfelbaum stehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie bisher weder etwas gegessen
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