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Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
Autoren: Patrick Süskind
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verlangst du denn noch?» schrie Terrier sie an. «Fünf Franc sind ein
    Haufen Geld für die untergeordnete Aufgabe, ein kleines Kind zu ernähren!»
    «Ich will überhaupt kein Geld», sagte die Amme. «Ich will den Bastard aus dem Haus haben.»
    «Aber warum denn, liebe Frau?» sagte Terrier und fingerte wieder in dem Henkelkorb herum. «Er ist doch ein allerliebstes Kind. Er sieht rosa aus, er schreit nicht, er schläft gut, und er ist getauft.»
    «Er ist vom Teufel besessen.»
    Rasch zog Terrier seine Finger aus dem Korb.
    «Unmöglich! Es ist absolut unmöglich, dass ein Säugling vom Teufel besessen ist. Ein Säugling ist kein Mensch, sondern ein Vormensch und besitzt noch keine voll ausgebildete Seele. Infolgedessen ist er für den Teufel uninteressant. Spricht er vielleicht schon? Zuckt es in ihm? Bewegt er Dinge im Zimmer? Geht ein übler Gestank von ihm aus?»
    «Er riecht überhaupt nicht», sagte die Amme.
    «Da hast du es! Das ist ein eindeutiges Zeichen. Wenn er vom Teufel besessen wäre, müsste er stinken.»
    Und um die Amme zu beruhigen und seinen eigenen Mut unter Beweis zu stellen, hob Terrier den Henkelkorb hoch und hielt ihn sich unter die Nase.
    «Ich rieche nichts Absonderliches», sagte er, nachdem er eine Weile geschnuppert hatte, «wirklich nichts Absonderliches. Mir scheint allerdings, als ob da etwas aus der Windel räche.» Und er hielt ihr den Korb hin, damit sie seinen Eindruck bestätige.»Das meine ich nicht», sagte die Amme unwirsch und schob den Korb von sich. «Ich meine nicht das, was in der Windel ist. Seine Exkremente riechen wohl. Er selbst, der Bastard selbst, riecht nicht.»
    «Weil er gesund ist», rief Terrier, «weil er gesund ist, deshalb riecht er nicht! Nur kranke Kinder riechen, das ist doch bekannt. Bekanntlich riecht ein Kind, das Blattern hat, nach Pferdedung, und eines, welches Scharlachfieber hat, nach alten äpfeln, und ein schwindsüchtiges Kind, das riecht nach Zwiebeln. Es ist gesund, das ist alles, was ihm fehlt. Soll es denn stinken? Stinken denn deine eigenen Kinder?»
    «Nein», sagte die Amme. «Meine Kinder riechen so, wie Menschenkinder riechen sollen.»
    Terrier stellte den Henkelkorb vorsichtig auf den Boden zurück, denn er fühlte, wie die ersten Wallungen von Wut über die Widerborstigkeit der Person in ihm aufstiegen. Es war nicht auszuschließen, dass er im Fortgang des Disputes beide Arme zur freieren Gestik benötigte, und er wollte nicht, dass der Säugling dadurch Schaden nähme. Vorerst allerdings verknotete er seine Hände hinter dem Rücken, streckte der Amme seinen spitzen Bauch entgegen und fragte scharf: «Du behauptest also zu wissen, wie ein Menschenkind, das ja immerhin auch - daran möchte ich erinnern, zumal wenn es getauft ist - ein Gotteskind ist, zu riechen habe?»
    «Ja», sagte die Amme.
    «Und behauptest ferner, dass, wenn es nicht räche, wie du meintest, dass es riechen solle - du, die Amme Jeanne Bussie aus der Rue Saint-Denis! -, es dann ein Kind des Teufels sei?» Er schwang die Linke hinter seinem Rücken hervor und hielt ihr drohend den gebogenen Zeigefinger wie ein Fragezeichen vors Gesicht. Die Amme überlegte. Es war ihr nicht recht, dass das Gespräch mit einem Mal zu
    einem theologischen Verhör ausartete, bei dem sie nur unterliegen konnte.
    «Das will ich nicht gesagt haben», antwortete sie ausweichend. «Ob die Sache etwas mit dem Teufel zu tun hat oder nicht, das müsst Ihr selbst entscheiden, Pater Terrier, dafür bin ich nicht zuständig. Ich weiß nur eins: dass mich vor diesem Säugling graust, weil er nicht riecht, wie Kinder riechen sollen.»
    «Aha», sagte Terrier befriedigt und ließ seinen Arm wieder zurückpendeln.
    «Das mit dem Teufel nehmen wir also wieder zurück. Gut. Aber nun sage mir gefälligst: Wie riecht ein Säugling denn, wenn er so riecht, wie du glaubst, dass er riechen solle? Na?»
    «Gut riecht er», sagte die Amme.
    «Was heisst «gut»?» brüllte Terrier sie an. «Gut riecht vieles. Ein Bund Lavendel riecht gut. Suppenfleisch riecht gut. Die Gärten von Arabien riechen gut. Wie riecht ein Säugling, will ich wissen?»
    Die Amme zögerte. Sie wusste wohl, wie Säuglinge rochen, sie wusste es ganz genau, sie hatte doch schon Dutzende genährt, gepflegt, geschaukelt, geküsst... sie konnte sie nachts mit der Nase finden, sie trug den Säuglingsgeruch selbst jetzt deutlich in der Nase. Aber sie hatte ihn noch nie mit Worten bezeichnet.
    «Na?» bellte Terrier und knipste
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