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Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
Autoren: Patrick Süskind
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sie habe einen Teufelsspuk entdeckt, der Teufel nie und nimmer seine Hand im Spiel haben konnte. Gerade dass sie ihn entdeckt zu haben glaubte, war ein sicherer Beweis dafür, dass da nichts Teuflisches zu entdecken war, denn so dumm stellte sich der Teufel auch wieder nicht an, dass er sich von der Amme Jeanne Bussie entlarven ließ. Und noch dazu mit der Nase! Mit dem primitiven Geruchsorgan, dem niedrigsten der Sinne! Als räche die Hölle nach Schwefel und das Paradies nach Weihrauch und Myrrhe! Schlimmster Aberglaube, wie in dunkelster heidnischster Vorzeit, als die Menschen noch wie Tiere lebten, als sie noch keine scharfen Augen besaßen, die Farbe nicht kannten, aber Blut riechen zu können glaubten, meinten, Freund von Feind zu erriechen, von kannibalischen Riesen und Werwölfen gewittert und von Erinnyen gerochen zu werden, und ihren scheußlichen Göttern stinkende, qualmende Brandopfer brachten. Entsetzlich! «Es sieht der Narr mit der Nase» mehr als mit den Augen, und wahrscheinlich musste das Licht der gottgegebenen Vernunft noch tausend weitere Jahre leuchten, ehe die letzten Reste des primitiven Glaubens verscheucht waren.
    «Ach, und das arme kleine Kind! Das unschuldige Wesen! Liegt in seinem Korb und schlummert, ahnt nichts von den ekligen Verdächtigungen, die gegen es erhoben werden. Du rächest nicht, wie Menschenkinder riechen sollen, wagt die unverschämte Person zu behaupten. Ja, was sagen wir denn dazu? Duziduzi!»
    Und er wiegte den Korb sachte auf den Knien, streichelte dem Säugling mit dem Finger über den Kopf und sagte von Zeit zu Zeit «duziduzi», was er für einen auf Kleinkinder zärtlich und beruhigend wirkenden Ausdruck hielt. «Nach Karamel sollst du riechen, so ein Unsinn, duziduzi!»
    Nach einer Weile zog er den Finger zurück, hielt ihn sich unter die Nase, schnupperte, roch aber nichts als das Sauerkraut, das er mittags gegessen hatte. Er zögerte einen Moment, blickte sich um, ob ihn auch niemand beobachte, hob den Korb empor, senkte seine dicke Nase hinein. Ganz knapp, so dass die dünnen rötlichen Kindshaare seine Nüstern kitzelten, schnoberte er über den Kopf des Säuglings, in der Erwartung, einen Geruch aufzusaugen. Er wusste nicht so recht, wie Säuglinge am Kopf zu riechen hatten. Natürlich nicht nach Karamel, so viel stand fest, denn Karamel war ja geschmolzener Zucker, und wie sollte ein Säugling, der bisher nur Milch getrunken hatte, nach geschmolzenem Zucker riechen. Nach Milch könnte er riechen, nach Ammenmilch. Aber er roch nicht nach Milch. Nach Haaren konnte er riechen, nach Haut und Haaren und vielleicht nach ein bisschen Kinderschweiß. Und Terrier schnupperte und stellte sich darauf ein, Haut, Haare und ein bisschen Kinderschweiß zu riechen. Aber er roch nichts. Beim besten Willen nichts. Wahrscheinlich riecht ein Säugling nicht, dachte er, so wird das sein. Ein Säugling, sofern reinlich gehalten, riecht eben nicht, genau so wenig wie er spricht, läuft oder schreibt. Diese Dinge kommen erst mit dem Alter. Strenggenommen strömt der Mensch sogar erst Duft aus, wenn er pubertiert. So ist das und nicht anders. Schreibt nicht schon Horaz «Es böckelt der Jüngling, es duftet erblühend die Jungfrau wie eine weiße Narzisse...»?- und die Römer verstanden etwas davon! Der Menschenduft ist immer ein fleischlicher Duft - also ein sündiger Duft. Wie sollte also ein Säugling, der doch noch nicht einmal im Traume die fleischliche
    Sünde kennt, riechen? Wie sollte er riechen? Duziduzi? Gar nicht!
    Er hatte den Korb wieder auf die Knie gestellt und hutschte ihn sachte. Das Kind schlief noch immer fest. Seine rechte Faust schaute unter der Decke hervor, klein und rot, und zuckte manchmal rührend gegen die Wange. Terrier lächelte und kam sich plötzlich sehr gemütlich vor. Für einen Moment gestattete er sich den phantastischen Gedanken, er selbst sei der Vater des Kindes. Er wäre kein Mönch geworden, sondern ein normaler Bürger, ein rechtschaffener Handwerker vielleicht, hätte ein Weib genommen, ein warmes wollig und milchig duftendes Weib, und hätte mit ihr einen Sohn gezeugt und hutschte ihn nun hier auf seinen eigenen Knien, sein eigenes Kind, duziduziduzi... Es war ihm wohl bei diesem Gedanken. Der Gedanke hatte etwas so Ordentliches. Ein Vater hutscht seinen Sohn auf den Knien, duziduzi, es war ein Bild so alt wie die Welt und immer ein neues und richtiges Bild, solange die Welt bestand, ach ja! Es wurde Terrier ein bisschen warm ums Herz
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