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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich
Autoren: Ricardo Coler
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zu sorgen. Als unumschränkte Herrinnen über
     die Finanzen haben sie – und nur sie - den Schlüssel für das Haus, in dem sich der Familienbesitz befindet.
    Im Nordosten Indiens, im Bundesstaat Meghalaya, umgeben von Bangladesch, Bhutan und Birma, findet man die Khasi. Ihre Kultur
     unterscheidet sich maßgeblich von der ihrer indischen Landsleute. Sie sind in Stämmen organisiert, die ihrerseits aus Sippen
     und Clans zusammengesetzt sind; die Zugehörigkeit zu einer Sippe richtet sich nach den Regeln der Matrilinearität – eines
     Systems, das verwandtschaftliche und sonstige Rechtsverhältnisse über die Abstammung von der Mutter bildet. Der Familienname
     ist stets auf die Mutter zurückzuführen, als Erben sind die Töchter eingesetzt, und wenn eine Familie nicht genügend Geld
     hat, alle Kinder auf die Schule zu schicken, gehen die Jungen leer aus. Bei den Khasi bekommt man so viele Kinder, bis endlich
     das ersehnte Mädchen geboren wird. So bleibt der Clan erhalten. Im Übrigen gelten sie als sehr liebenswürdig, gastfreundlich
     und gutgelaunt (mir scheint, dass die unterschiedlichen Matriarchate vor |17| allem eins gemeinsam haben: die gute Laune ihrer Mitglieder).
    Sowohl für die Nagovisi als auch für die Khasi ist der weibliche Körper der Inbegriff der Kräfte der Natur, des Lebens. Die
     Frau wird mit der Sonne gleichgesetzt, wegen ihrer strahlenden Erscheinung und ihrer Glut, die Begehren erzeugt.
    Der indische Bundesstaat Meghalaya ist vermutlich die einzige Region auf der Erde, wo es eine männliche Befreiungsbewegung
     gibt: »Synkhong Rympei Thymmai«, die »Gesellschaft des Neuen Herzens«. Sie zählt mehr als tausend Mitglieder, die sich zusammengeschlossen
     haben, um ihre Rechte einzufordern und weil sie sich in ihrer eigenen Familie nicht akzeptiert fühlen. Ihre Anführer, eine
     Gruppe von Universitätsstudenten, erinnern an die Demütigung ihrer Väter durch ihre Mütter. Die sogenannte Schwesternversammlung,
     eine Art Familiengericht, das Ehemänner des Hauses verweisen kann und ihnen dabei unter Umständen nicht einmal die Gnade zugesteht,
     sich von den Kindern zu verabschieden, ist das meistangeführte Beispiel. Der Mann rangiert in der Hierarchie ganz unten.
    Unterstützt wird die »Gesellschaft des Neuen Herzens« von der katholischen Kirche, die ein großes Interesse daran hat, die
     Position der Männer zu stärken und möglichst viele Schäflein unter den |18| Gegnern der weiblichen Vorherrschaft für sich zu gewinnen. Es ist sehr schwierig für das Christentum, eine Religion mit einem
     Gottvater, in matriarchalische Strukturen hineinzuwirken. Niemand wird den Herrn fürchten, wenn zu Hause eine Frau das Sagen
     hat.
    Die Mosuo stammen ursprünglich aus Tibet, erst kurz vor Beginn der christlichen Ära wanderten sie in die Gegend um Luoshui
     aus. Im 13. Jahrhundert, vor der Gründung der Yuan-Dynastie, als deren erster Kaiser er unter dem chinesischen Namen Shizu
     herrschte, durchquerte Kublai Khan dieses Gebiet an der Spitze der Truppen des mongolischen Heeres. Der Legende nach waren
     seine Krieger in der Lage, einen ganzen Feldzug auf dem Rücken ihrer Pferde abzuleisten, sie aßen und schliefen sogar, ohne
     einen Fuß auf die Erde zu setzen. Als Kublai seinen Reitern nach mehreren Monaten zu Pferd endlich erlaubte, abzusteigen,
     sich auszuruhen und sich an den Gewässern der Region von Luoshui zu laben, war die Erleichterung groß – nicht nur für die
     Mongolen, sondern auch für die opferbereiten Rosse. Flink nutzten die Reiter außerdem die Gelegenheit, mit den Einheimischen
     in Kontakt zu kommen. Und sie taten es so ausgiebig, dass die Physiognomie der Mosuo noch heute stark mongolisch geprägt ist.
    |19| Ihren Lebensunterhalt verdienen die Mosuo mit Ackerbau und Viehzucht. Darüber hinaus treiben sie Handel mit den benachbarten
     Dörfern und mit Lijiang, der nächstgelegenen Stadt, von der sie etwa zwölf Stunden Fahrt trennen. Das Klima im Winter ist
     hart, mehrere Monate lang ist jede produktive Aktivität unmöglich, die weiße Pracht des Schnees hat das Dorf fest im Griff.

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    Was hat mich hierher geführt?, frage ich mich, als ich endlich auf einer Pritsche in meinem Gastzimmer sitze, vor mir das
     noch unangetastete Gepäck. Ich wohne in einem für diese Gegend typischen Haus: Es ist aus Holz gebaut und verfügt über ein
     Erdgeschoss und ein weiteres Stockwerk. Die Zimmer gruppieren sich um einen überdachten Innenhof, auf den
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