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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer
Autoren: Vadim Panov
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mich. Sie glauben, ich bin noch furchtbar klein.«
    »Und was meinst du?«
    »Immerhin bin ich schon neun.«
    »So jung ist das nun auch wieder nicht.«
    »Eben. Außerdem bin ich schon in der dritten Klasse und sogar die Viertklässler haben Angst vor mir, weil ich so stark bin. Schau mal, was ich für Muskeln habe. Ich kann zwölf Klimmzüge am Reck machen.« Der Bub rückte ein Stückchen näher. »Wann hast du mit dem Skaten angefangen?«
    »Hm …« Olga stutzte für einen Augenblick. »So mit fünfzehn, glaube ich.«
    »Das ist aber spät. Das wäre ja erst in sechs Jahren. So lange will ich nicht warten.«
    »Warum?«
    »Ach, in sechs Jahren gibt es doch längst wieder etwas Neues.«
    »Da kannst du Recht haben«, pflichtete die junge Frau bei. »Die Inliner gibt es ja auch noch nicht so lange.«
    »Siehst du?! Und was gab es früher?«
    »Ähm … Skier.«
    »Und womit bist du gefahren, als du neun Jahre alt warst?«
    Olga runzelte die Stirn: »Mit dem Fahrrad wahrscheinlich. «
    »Das ist ja langweilig. Ich fahre schon seit zwei Jahren Fahrrad. Nur fürs Inlineskaten bin ich angeblich noch zu klein.«
    Olga beugte sich zu dem Jungen und zwinkerte ihm verschwörerisch zu: »Dafür darfst du eines Tages alles, was du willst.«
    »Alles auf einmal ist gar nicht nötig«, erwiderte Konstantin überraschend pragmatisch. »Ich will eines nach dem anderen machen, aber eben nur das, wozu ich Lust habe.«
    Olga war perplex. Ihr Umgang mit Kindern beschränkte sich auf die kleinen Schwestern ihrer Freundinnen und einen solch »erwachsenen« Standpunkt hätte sie von einem Neunjährigen nicht erwartet.
    »Also nur das, wozu du Lust hast, und nur dann, wenn du gerade Lust hast?«, präzisierte Olga.
    »Genau«, bestätigte Konstantin mit einer rührenden Ernsthaftigkeit.
    »Dafür musst du aber noch ein bisschen größer werden«, erwiderte Olga etwas unschlüssig.
    »Jetzt redest du genauso wie meine Mutter«, seufzte der Junge.
    »Konstantin, da bist du ja!« Eine junge Frau in einem leichten, türkisfarbenen Kleid, trat zu den beiden heran. »Er geht Ihnen hoffentlich nicht auf die Nerven?«
    »Aber nein, überhaupt nicht.«
    »Mama, ich lauf schon mal voraus.« Der Junge stand auf. »Auf Wiedersehen, Olga.«
    »Auf Wiedersehen.« Olga wandte sich an seine Mutter. »Ein netter Junge. Und er weiß ganz genau, was er will.«
    »Das ist gar kein Ausdruck.« Die Frau setzte sich auf die Umrandung. »Er ist verwöhnt.«
    »Den Eindruck hatte ich gar nicht.«
    »Haben Sie eine Ahnung! Wenn er sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt er keine Ruhe mehr, bis er es bekommt. In letzter Zeit bildet er sich Inlineskates ein, aber bis jetzt sind wir hart geblieben.«
    »Aber warum denn? Skaten ist doch etwas Schönes.«
    Die Mutter warf einen prüfenden Blick auf Olgas schlanken Körper und zuckte mit den Achseln: »Es ist gefährlich.«
    »Nicht im Geringsten!«
    »Und warum haben Sie dann dieses ganze Zeug an?«, fragte die Frau und deutete auf Olgas Knie- und Ellbogenschützer.
    »Deswegen ist es ja nicht gefährlich.«
    »Das sagen alle. Ich habe aber eine Freundin, die arbeitet als Krankenschwester in einer chirurgischen Notaufnahme. Was glauben Sie, wie viele Inlineskater dort eingeliefert werden?«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es besonders viele sind«, gab Olga kopfschüttelnd zurück.
    »Wenn Sie selber mal Kinder haben, werden Sie einsehen, dass es auf jeden Fall zu viele sind!«, versetzte die Frau barsch, erhob sich und zog grußlos von dannen.
    »Eine Bekannte?«, erkundigte sich Galja, die gerade zurückkam.
    »Nö.«
    Galja warf Olga eine Flasche Mineralwasser zu, setzte sich neben sie und atmete durch. Durch die schweißtreibende Anstrengung wirkte ihr braungebranntes Gesicht mit den prägnanten, hohen Wangenknochen noch heißblütiger als sonst. Dazu die scharf geschnittenen, schmalen Brauen, tiefschwarze Augen und ein kleiner Mund mit vollen, sinnlichen Lippen: Galja war kein niedliches Allerweltspüppchen, sondern strahlte eine aufregende, herbe, ja wilde Schönheit aus. Manchmal erinnerte sie Olga an die ebenso anmutige wie gefährliche schwarze Pantherin Bagheera aus dem Zeichentrickfilm Das Dschungelbuch und dann beneidete sie ihre Freundin noch mehr als sonst.
    »Und, was wollte sie von dir?«
    »Ach, irgend so eine Glucke. Ihr neunjähriger Junge wünscht sich Inlineskates, und sie stellt sich quer, weil sie es zu gefährlich findet.«
    »Das ist doch ganz normal«, entgegnete Galja. »Es
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