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Das nordische Dreieck

Das nordische Dreieck

Titel: Das nordische Dreieck
Autoren: Inka Loreen Minden
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ausgeprägt. Es war ohnehin besser, er hielt sich bedeckt.
    Ganz anders Granny. Sie hatte bis vorletztes Jahr regelmäßig Magie angewandt. Als vor zwei Jahren ihre Hexenküche – wie David ihren persönlichen Bereich liebevoll nannte – beinahe in Flammen aufgegangen wäre, hatte sie große Zauber weitgehend bleiben lassen.
    »Luceo«, flüsterte er erneut und schnippte. Ein winziger Funke blitzte auf – sonst geschah nichts.
    Keine Panik , sagte er sich und schwang die Füße über die Matratze. Er kannte den Weg zum Fenster, es brauchte nur drei Schritte. Doch er bildete sich ein, er könne jeden Moment gegen einen Dämon stoßen. Seinen Dämon.
    Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Atmete außer ihm selbst nicht noch jemand?
    Du hast eine blühende Fantasie, Junge , vernahm er Grannys Stimme in seinem Kopf, fasste all seinen Mut zusammen und eilte zum hohen Fenster, um die schweren Vorhänge aufzuziehen. Sofort drang das matte Licht der Gaslaternen in sein Schlafzimmer. Auf der Straße, zwei Stockwerke tiefer, wa r es still, keine Kutsche, kein Automobil waren zu sehen. Es musste nach Mitternacht sein. Erst dann kam London langsam zur Ruhe, aber bereits morgens um vier erwachte es wieder zum Leben. Je mehr d ie Industrialisierung und der Fortschritt vorankamen, desto mehr wurde die Nacht zum Tag. Wenn sich endlich Glühlampen durchsetzten, würde London überhaupt nicht mehr schlafen. Was David nur recht war. Schlaf bedeutete für ihn Albträume, Kummer, böse Erinnerungen.
    Als er ein Knarzen aus dem Flur vernahm, wirbelte er herum. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
    »Granny?«, wollte er rufen, doch lediglich ein Wispern verließ seinen Mund.
    Rasch zog er seine Hose vom Stuhl, der vor seinem Sekretär stand, und stieg hinein. Großmutter schimpfte ihn für seine Unordnung, weil er von seinem Schreibtisch lediglich in sein Bett fiel und sich vom Bett meist direkt zurück zum Tisch begab. Würde Granny ihm nicht Essen ins Zimmer bringen, wäre er wohl eine Bohnenstange.
    In sein Hemd schlüpfte er fahrig, ohne es zuzuknöpfen. Falls sich ein Einbrecher in ihrem Haus herumtrieb, wollte er ihm nicht nackt begegnen. Dann suchte er nach einer Waffe und entschied sich für einen der zahlreichen Kerzenhalter aus Bronze, die auf seinem Sekretär verteilt waren. David zog die abgebrannte Kerze heraus, bevor sich seine Finger um das kühle Metall schlossen.
    Wahrscheinlich war der nächtliche Besucher längst über alle Berge.
    Hoffentlich …
    Mit angehaltenem Atem schlich er zur Tür. Sie stand einen Spaltbreit offen. David hatte sie geschlossen, bevor er zu Bett gegangen war. Ob Granny doch bei ihm gewesen war?
    Bereits als Junge hatte er sich eingebildet, ein Ungeheuer würde durchs Haus schleichen. Er hatte ihm eine F alle stellen wollen, allerdings hatte Großmutter den Eimer Wasser, den er auf Tür und Rahmen gestellt hatte, abbekommen, als sie nach ihm gesehen hatte. Sie hatte ihm gedroht, ihn in einen Gnom zu verwandeln, wenn er nicht sofort aufhörte, über »sein Ungeheuer« zu reden. Heute wusste D avid, dass sie mit der Situation überfordert gewesen war. Granny hatte den Tod ihres Sohnes nie verkraftet, zumal bis heute unklar war, wer die Mörder seiner Eltern waren. Die Polizei hatte die Leichen nie gefunden. Lange Zeit hatte David Angst gehabt, dass der Mann, der brennend davongelaufen war, noch lebte und zu ihnen zurückkehrte, um sie zu töten.
    Sein furchteinflößender Retter – war er wirklich ein geflügeltes Wesen oder hatte David sich die Gestalt eingebildet? Er wusste, dass es neben der Menschenwelt andere Welten gab. Fabelwesen, Mythen … all das existierte. Zumindest hatten Vater und Granny das erzählt. Gesehen hatte David lediglich einen Kobold, der bei Vater im Keller gehaust und ihn manchmal geärgert hatte, bis es Vater zu bunt wurde und er ihn mittels Magie austrieb.
    Ich muss es endlich wissen, ob es mein unbekannter Retter ist, der mich nachts besucht … Entschlossen trat David auf den Flur. Er wollte keine Angst mehr haben. Er war alt genug, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen.
    Erneut lauschte er und hörte ein Quietschen. Es kam von unten! Dort gab es ein Fenster in der Nähe der Haustür – es war das Fenster vor dem Apfelbaum –, das genau dieses Geräusch verursachte, wenn man es aufschob.
    David rannte so leise er konnte die Holzwendeltreppe ins Erdgeschoss. Seine nackten Füße hinterließen kaum ein Geräusch auf den Stufen; die letzte übersprang er,
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