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Das Nest

Titel: Das Nest
Autoren: Val McDermid
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zurück auf die Straße, nur um in der Ferne einen roten Fiesta die Kurve kratzen zu sehen. An einem Tag wie diesem genügte ein derart unbedeutender Vorfall und schon verfiel sie in totale Panik. Sie fuchtelte hektisch und ungeschickt mit ihren Schlüsseln herum und fegte die Treppe hinauf. Auf den ersten Blick wirkte alles ganz normal. Aber als sie das Wohnzimmer betrat, fiel ihr auf, daß von den Regalen über der Stereoanlage sämtliche Kassetten verschwunden waren. Im Arbeitsraum erwartete sie dieselbe Geschichte. Lindsay ließ sich zitternd gegen eine Wand fallen und anschließend zu Boden gleiten, wo sie mit den Händen über dem Gesicht kauern blieb, überwältigt vom Bewußtsein der Bedrohung.
    Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie so in absoluter Lähmung verharrte. Irgendwann ließ das Zittern nach und unsicher ringelte sie sich in die Höhe. Nachdem sie in der Küche Kaffe aufgesetzt hatte, entdeckte sie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Sie steckte sich eine Zigarette an und spulte das Band zurück.
    Die Stimme klang ängstlich. »Lindsay. Hier spricht Annie Norton. Bei mir ist eingebrochen worden. Mein Wagen wurde aufgebrochen und mein Büro durchwühlt. Ich vermute, daß es etwas mit dir zu tun hat, denn es sind lauter Kassetten gestohlen worden. Wer immer dafür verantwortlich ist, diese Leute haben vermutlich auch dein Telefon angezapft und deshalb erkläre ich nun, zu meinem wie auch zu deinem Schutz: Sie haben jetzt den einzigen Datenträger von dem verdammten Band, der je in meinem Besitz war. Wenn du mich wenigstens gewarnt hättest, daß du nicht genug Verstand gehabt hast, die Finger von der Scheißsache zu lassen. Bitte ruf mich erst wieder an, wenn das alles vorbei ist – solche Geschichten kann ich mir bei meiner Arbeit nicht leisten. Schau, paß gut auf dich auf. Das ist kein Spiel. Sei vorsichtig. Ciao.«
    Das war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Lindsay setzte sich an den Tisch, nahm den Kopf in beide Hände und weinte, bis ihre Augen stachen und die Nebenhöhlen weh taten. Dann starrte sie die Wand an. Immer wieder rekapitulierte sie in Gedanken das Geschehene und suchte nach einem Weg, der sie aus dem Wahnsinn hinausführen könnte. Bis zum späten Nachmittag hatte sie eineinhalb Päckchen Zigaretten geraucht und eine Flasche vom besten Burgunder geleert.
    Zur Teezeit wußte sie genau, was zu tun war. Sie machte sich auf den Weg zur Telefonzelle im Park, um die Räder in Bewegung zu setzen.

ZWANZIG
    Lindsay wartete geduldig auf die Verbindung und betete, daß derjenige, dem der Anruf galt, noch an seinem Schreibtisch saß. Sogar zum Billigtarif kam ihr das Gespräch teuer: Der Apparat schluckte Ein-Pfundmünzen mit ausgesprochen befremdlicher Rasanz. In der Zwischenzeit dachte sie dankbar an Jane und deren Anregung, sich doch einmal zu fragen, was sie in den vergangenen Monaten an Positivem für das Friedenscamp geleistet hatte. Wäre sie damals mit ihren Artikeln nicht ins Ausland gegangen, existierten die Kontakte nicht, die sie jetzt brauchen sollte. Ihre Überlegungen wurden durch eine Stimme aus dem Hörer unterbrochen.
    »Ja?«
    »Günter Binden?« fragte Lindsay.
    »Ja. Wer spricht?«
    »Hier ist Lindsay Gordon, Günter. Aus London.«
    Augenblicklich erklang die tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung in lupenreinem Englisch. »Lindsay! Wie schön, dich zu hören. Wie läuft’s bei dir?«
    »Ein wenig hektisch. Und deshalb möchte ich auch mit dir reden. Ich hab’ eine ganz tolle Story für dich. In England will sie keiner drucken, weil es was mit dem Geheimdienst zu tun hat, aber die Geschichte ist einfach zu wichtig, sie muß herauskommen. Und da hab’ ich an dich gedacht.«
    »Ist es wieder etwas über das Friedenscamp?«
    »Indirekt, ja. Aber eigentlich geht’s um Spionage und Mord.«
    »Klingt gut. Erzählst du mir mehr darüber?«
    Lindsay begann mit der ihr mittlerweile nur allzu geläufigen Darstellung der letzten Ereignisse. Günter hörte aufmerksam zu und unterbrach sie nur, wenn ihm einzelne Ausdrücke aus dem Journalistenenglisch nicht geläufig waren. Lindsay gratulierte sich dazu, ihrem Instinkt gefolgt zu sein, mit ihm in Verbindung zu treten. Er war nicht nur Chef der Feature-Redaktion eines bekannten Wochenblattes, das die deutschen Grünen unterstützte, sondern hatte auch zwei Jahre in London gearbeitet: Daher sein Verständnis für die britische Innenpolitik und sein exzellentes Englisch. Als sie gerade die Entführung durch
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