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Das Nazaret-Projekt

Das Nazaret-Projekt

Titel: Das Nazaret-Projekt
Autoren: Heinrich Hanf
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Ein fast absurdes Ambiente und ein erstaunliches Spektakel erwarteten ihn, das in ziemlich heftigem Kontrast zur technisch-rationalen Umgebung und Ausstattung der künstlichen Insel stand.
    »Willkommen auf der neuen Gralsburg, Bruder Telly Suntide, und besonders willkommen in der Tafelrunde der neuen Tempelritter vom heiligen Kreuz!«
    Telly war so verblüfft gewesen, dass ihm tatsächlich jede Antwort im Halse stecken geblieben war. Er legte seine Hände auf die eiskalte, nasse Reling und schloss seine Augen.

    *

    Der Schritt über die Schwelle war wie ein Schritt in eine andere Zeit gewesen, besser gesagt, in zwei Zeitalter zugleich, sowohl in die Träume der Zukunft als auch die der Vergangenheit. Es war wie eine Reise auf einem fliegenden Teppich durch das Innere des Raumschiffs Enterprise, einer seltsamen Mischung aus Tempel, Thronsaal und Hightech-Kommandozentrale.
    Genau im Zentrum des ovalen, ziemlich hohen Raumes, auf spiegelblankem Marmorboden mit eingelegten arabischen Ornamenten, befand sich ein mächtiger, aus kostbaren Hölzern gefertigter, runder Tisch, um den dreizehn Sessel mit hohen, geschnitzten Rückenlehnen gruppiert waren. Weihrauchgeschwängerte Luft erfüllte den Raum, schwer und dicht wie ein Perserteppich, und wohin das Auge blickte, überall brannten Kerzen.
    Etwa zehn Personen hatten um diesen Tisch Platz genommen. Alle waren in weiße, goldgesäumte Gewänder gekleidet, die ein rotes Tatzenkreuz auf Brust und Rückenteil trugen. Vor jeder dieser Personen lag ein prachtvoll verziertes Schwert, dessen Spitze auf den Mittelpunkt der Tafel ausgerichtet war.
    Die Menschen saßen betont aufrecht mit verschränkten Armen, die Hände in den weiten Ärmeln ihrer schlichten und doch eindrucksvollen Gewänder verborgen. Niemand bewegte sich, keiner wandte den Kopf, um den Neuankömmling Suntide zu betrachten.
    Schwereloser, gregorianischer Gesang stieg zur Kuppel empor wie ein Schwarm majestätischer Vögel. Dann endlich erhob sich in theatralischer Pose der Ordensgroßmeister Nathan Brock – Patriarch und Käpt’n Kirk in geglückter Synthese – um die Tafelrunde der Tempelritter vom heiligen Kreuz zu begrüßen.
    Telly war wie gelähmt in der geöffneten Pforte stehen geblieben. Fast hätte er zu atmen vergessen, wenn er nicht plötzlich leisen Zorn verspürt hätte. Für die Dauer weniger Sekunden hatte er tatsächlich geglaubt, das Opfer eines aufwändigen und zynischen Schabernacks zu sein, eine Theaterinszenierung, eine verletzende Persiflage auf die seltsamen Gepflogenheiten, Riten und Regeln seines eigenen, bis dahin geheim geglaubten Ordens in Kalifornien; durch einen Zerrspiegel der Lächerlichkeit und Sinnlosigkeit preisgegeben, entlarvt als Auswuchs des Hochmutes und der Eitelkeit.
    Es hätte einer jener kostbaren, von Gott geschenkten Augenblicke der Selbsterkenntnis sein können, die Telly stets erflehte, die ihm ständig zu Teil wurden und deren er doch niemals gewahr wurde. Schmerzhafte Sekunden, in denen kurzlebig wie ein Neutrino die Wahrheit aufblitzte; eine Wahrheit, die umgehend am Hochspannungszaun seines Egos verschmorte oder in dem engmaschigen Filter seiner Konzepte und Erwartungen unverrichteter Dinge hängen blieb.
    Sowohl die Ernsthaftigkeit und unbeirrte Würde der Anwesenden als auch die Ausstrahlung dieses sakralen Raumes, dessen weite Gewölbebögen als Krone eine gläserne Kuppel trugen, die den Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel gestattete – all dies hatte ihn schnell wieder gefangen genommen. Nur zu willig war er dieser unerklärlichen Magie feierlich-bedeutungsvoller Rituale erlegen, der sich nur wenige Menschen völlig entziehen können, weil sie vor allem lustvolle Selbsterhöhung gestattete.

    *

    Telly Suntide nahm einen tiefen Atemzug und schritt langsam die grün lackierte Reling entlang, die ihn in den trüben Lichtkreis einer Bogenlampe führte. Das Geländer war hier für die Breite eines Durchstieges unterbrochen. Wie ein Sprungbrett ragte ein Gitterrost hinaus in die bodenlose Dunkelheit. Schlecht beleuchtet, am äußersten Ende dieses Laufsteges, bemerkte Telly zwei flache, schwarze Gegenstände. Neugierig beugte er sich über das Geländer. Im Augenblick des Erkennens machte sein Herz einen erschreckten Sprung. Fein säuberlich und mit gebundenen Schnürsenkeln nebeneinander gesetzt, stand da ein einsames Paar glänzender Lackschuhe. Herrenschuhe. Tausend-Dollar-Schuhe.
    Seine Schuhe? Zumindest sahen sie genauso aus!
    Telly wurde
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