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Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab
Autoren: Horst Hoffmann
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allmählich knapp, und mit deinem Geschrei immer knapper.«
    »Ich sage ja schon nichts mehr«, knurrte der Mandaler. »Aber das Wasser erdrückt mich. Es wird uns alle erdrücken. Ich höre es schon in meinen Ohren rauschen und…«
    Der Rest war nicht mehr zu verstehen. Gerrek stieß irgendwo in der Dunkelheit gegen eine Wand, schimpfte und ließ sich mit einem dumpfen Laut zu Boden fallen.
    Er hatte nicht unrecht. Auch Mythor, Scida und Kalisse spürten den Druck in den Ohren. Die Lumenia bewegte sich nicht länger. Sie mußte bis auf den Meeresgrund herabgesunken und zur Ruhe gekommen sein. Wie tief das war, ließ sich nur ahnen.
    Sie war langsam gesunken, und Quyl allein mochte wissen, wie weit sie von unbekannten Strömungen von jener Stelle fortgerissen worden war, an der sie zu welken begonnen hatte und schließlich den Großen Tod gestorben war, in den sie alle Bewohnerinnen der Schwimmenden Stadt mitgerissen hatte.
    Mythor sah sie wieder vor sich, die ehemals so fröhlichen, ausgelassenen Hanquonerinnen, wie sie mitten im Fest der Masken zu toben begonnen hatten, sich aufeinander stürzten und in einem fürchterlichen Rausch bekämpften. Erst nachdem die Wellen von Wahnsinn abgeklungen waren, mit denen die sterbende Pflanze sie überschüttete, hatte das Kämpfen aufgehört. Doch die Hanquonerinnen waren nicht wieder genesen. Sie hatten allen Lebenswillen verloren und mit Todessehnsucht auf das Ende gewartet. Mit der Lumenia den Großen Tod zu sterben, im Zeichen der Zwölf, war für sie Erfüllung und Bestimmung gewesen.
    Mythor erschauerte beim Gedanken daran. Die Lumenia, auf der sie geboren und aufgewachsen waren, war schließlich zu ihrer Mörderin geworden. Er hatte nichts tun können, um das schreckliche Unglück zu verhindern. Er mußte zusehen, daß er selbst und seine Gefährten am Leben blieben.
    Nur in diese viel zu kleine Kammer konnten sie sich im letzten Moment retten – vor den steigenden Wassern, vor Burras Amazonen Gudun und Gorma und vor der heranbrausenden Sturmbrecher.
    Und nun hatte es den Anschein, als hätte auch dies nur einen Aufschub gebracht, als würde diese Kammer im Pflanzenstock der Lumenia zu ihrem Nassen Grab.
    Zum Nassen Grab…
    Kalisse, die Amazone der Zambe, war es gewesen, die die Befürchtung geäußert hatte, unbekannte Strömungen trieben den sinkenden Pflanzenstock direkt auf legendenumwobene, unheimliche Gewässer zu, die auf ganz Vanga als das Nasse Grab bekannt und gefürchtet waren.
    Mythor war es in diesen Augenblicken ziemlich gleichtültig, wo sie sich befanden. Er wußte, daß die Luft mit jedem Atemzug knapper und schlechter wurde, und daß sie einen Weg an die Oberfläche finden mußten.
    Doch bei der Tiefe, in der er die tote Lumenia vermutete, stellte sich ihnen allenfalls die Wahl zwischen dem Ersticken oder dem Ertrinken.
    Scida und Kalisse schwiegen, und das war gut so. Ihre Streitereien wären das Letzte gewesen, das er sich jetzt hätte anhören wollen. Gerreks Gezeter war schlimm genug.
    Wie lange sollten sie noch warten? Was konnten sie tun? Den Riegel von der massiven Tür nehmen, die, wie die beiden kleinen, geschlossenen Fenster, keinen Tropfen Wasser hereinließ? Schwimmend versuchen, so weit wie möglich aufzutauchen?
    Noch zögerte er, wenngleich er wußte, daß ihnen spätestens dann keine andere Wahl mehr blieb, wenn jeder Atemzug zur Qual wurde.
    Irgend etwas lähmte seine Entschlußkraft. Er lauschte ständig in sich hinein, obwohl er doch wußte, daß er keinen Traum mehr von Fronja geschickt bekommen würde. Die schreckliche Furcht, daß Fronja schon tot sein könnte, gestorben durch die Magie der Zaem, legte sich wie eine Eishand um sein Herz.
    Immer wieder sah er die letzten Bilder, die er von ihr empfangen hatte. Er sah die fünf Zaubermütter, wie sie sich um die Tochter des Kometen und Erste Frau Vangas drängten. Dann waren es plötzlich sechs, und sie rückten Fronja zu Leibe.
    Er sah sie in ihren schillernden Regenbogenmänteln, wie sie ihren Kreis um Fronja zusammenzogen wie eine Schlinge, aber ohne daß er Einzelheiten erkennen konnte, die ihm gesagt hätten, wer diese sechs Zaubermütter waren. Hatte Zaem ihr Ziel erreicht? War sie gekommen, um ihre schreckliche Absicht zu verwirklichen?
    Es durfte nicht so sein! Er durfte nicht einmal daran denken! Alles wäre so sinnlos geworden, sein langer Weg, all die vielen Kämpfe, die er zu bestehen hatte. Mit Fronja, die er über alles liebte, würde auch etwas von ihm sterben –
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