Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab
Autoren: Horst Hoffmann
Vom Netzwerk:
die Verbannten nicht!« schrie Gorma. »Sie nicht und nicht die Entersegler!«
    Die Verbannten…
    Nicht viel mehr war den Kriegerinnen über das unheimliche Gebiet bekannt, das vor ihnen lag, als daß dort Frevler, Abtrünnige und Verbrecher ausgesetzt worden waren, von denen man nie wieder gehört hatte. Außerdem schien es nun von Enterseglern verseucht zu sein. Aus Gründen, die sich ihrer Kenntnis entzogen, aber nur mit der ganz Vanga drohenden Gefahr zu tun haben konnten, schienen sich alle in der Schwimmenden Stadt Gondaha geschlüpften Kreaturen der Finsternis dort gesammelt zu haben.
    Sosona jedoch brach nun ihr Schweigen.
    »Schiffe und Schwimmende Städte«, sagte sie laut, »meiden dieses Gebiet seit undenklichen Zeiten. Jene, die die Verbannten zum Nassen Grab bringen, segeln kaum bis an die Inseln heran, sondern übergeben die Verdammten in kleinen Booten der See, auf daß sie so ihr Ziel erreichen. Selbst die Zaubermütter umfliegen diese Gewässer in ihren Ballons, denn sie wissen um die alten Legenden, um geheimnisvolle Mächte, die jenseits von Licht und Schatten liegen und selbst mit Magie nicht zu erfassen sind.«
    »Legenden?« fragte Tertish. »Erzähle uns davon, Sosona!«
    Der Sturm riß der Hexe die Worte von den Lippen. Blitze teilten die Finsternis, und mächtiger Donner rollte unheilverkündend über das Meer. Sosona machte den Kriegerinnen ein Zeichen, daß sie ihr folgen sollten. Nur widerstrebend gehorchten sie. Der Bug der Sturmbrecher teilte das Wasser, und niemand vermochte zu sagen, ob nur die Winde die Wellenkämme peitschten und weiße Gischt hoch aufspritzen ließen, oder ob Schwärme von Enterseglern sich aus der Tiefe hoben.
    In Sosonas Unterkunft war es ruhiger. Ungeduldig, jederzeit bereit, ihren Kampfgefährtinnen auf Deck zu Hilfe zu eilen, postierten sich die drei Amazonen vor der Tür.
    Sosonas Gesicht wirkte entrückt, als sie zu sprechen begann.
    »Diese Legenden«, sagte sie gedämpft, als fürchtete sie, allein durch ihre Erwähnung schreckliche Geister heraufzubeschwören, »berichten von einem ehemals mächtigen Reich in jenem Teil der Welt, der heute das Nasse Grab genannt wird. Es war das Reich Singara, dessen Volk weite Teile der Meere beherrschte, bis es eines Tages den Zorn der Zaubermütter erregte. Dies geschah vor langer Zeit, und niemand weiß mehr zu sagen, worin der Frevel bestand. Die Zaubermütter aber taten sich zusammen und straften Singara fürchterlich. Sie ließen das gesamte Reich im Meer versinken. Seit dieser Zeit sind die ehemals prächtigen Städte von Singara in den grundlosen Tiefen verschwunden, als da waren Mnar, die Hauptstadt, Helleas, die Strahlende, und Koram-Phar, die Stadt der Gelehrten. Nur die höchsten Berge reichen noch mit ihren Gipfeln aus den Fluten, und es heißt, daß zu ihnen auch die Inseln Kuron, Almariba, Taufion, Maskin-Ebrin, Husvard und Ibrillan gehören. Auf ihnen jedoch herrscht seit Menschengedenken Ruhe, und nichts erinnert heute noch daran, daß sie einst zu Singara gehörten.«
    Sosona machte eine Pause und beobachtete, wie ihre Worte auf die Amazonen wirkten. Tertish und Gudun blickten sie erwartungsvoll an. Es war schwer zu erkennen, ob sie betroffen oder nur neugierig waren. Gorma hatte das Ohr an das Holz der Tür gelegt und lauschte.
    Sie haben keine Angst! dachte Sosona bitter. Und sie sollten sie haben! Konnten sie an nichts anderes denken als an Burra, an Zaem und an Kampf? Hatten sie zu oft gesiegt, um noch wirkliche Furcht empfinden zu können?
    Sosonas Stimme wurde noch leiser, so daß sie nur mit Mühe zu verstehen war, als sie fortfuhr. Sie sprach langsamer, noch bedeutungsschwerer, und vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild des unbekannten Grauens.
    »Die Inseln Asingea, Nida, Mnora-Lör und Ngore aber begrenzen das wirkliche Nasse Grab, und zwischen ihnen liegt die letzte Ruinenstätte, die man bei klarem Wetter auch heute noch von den Booten der dorthin Verbannten aus sehen kann. Es ist dies die Ruinenstadt Ptaath, die einstmals auf einem Hochplateau erbaut wurde. Fünfzig, an einigen Stellen nur dreißig Schritt tief, liegt sie unter dem Meeresspiegel. Niemand außer der hier ansässig gewordenen Ausgestoßenen wagt sich in dieses tückische, an Untiefen reiche Gewässer, und selbst diese befahren nur die altüberlieferten Routen. Es geht die Kunde von unheimlichen Vorkommnissen dort über Ptaath. Fischer und Seefahrer, so heißt es, sollen von Ungeheuern in die Tiefe gerissen und nie mehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher